Leitsatz (amtlich)
Die Verpflichtung zur Stellung des Konkursantrags und die Verantwortung für die Verletzung dieser Pflicht trifft auch denjenigen, der, ohne zum Geschäftsführer bestellt zu sein, die Geschäfte der GmbH tatsächlich wie ein Geschäftsführer oder Mitgeschäftsführer führt. Eine völlige Verdrängung der gesetzlichen Geschäftsführer ist nicht erforderlich.
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger ist Konkursverwalter über das Vermögen der Dr. K. GmbH & Co. KG, G., die 1976 aus einem bis dahin von Dr. K. betriebenen einzelkaufmännischen Unternehmen entstanden war. Aufgrund einer schriftlichen Vereinbarung vom 30. März 1976 war die Gemeinschuldnerin verpflichtet, zu allen wesentlichen Geschäften die Zustimmung der I. D. GmbH & Co., H. (D.) einzuholen, die über eine Treuhänderin neben Dr. K. als Kommanditistin an der Gemeinschuldnerin beteiligt war. Als Verbindungsmann der D. zur Gemeinschuldnerin war der Beklagte, der bereits seit 1973 für die D. arbeitete, tätig. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz mit der Begründung in Anspruch, für die Gemeinschuldnerin seien noch nach dem Eintritt der Überschuldung Zahlungen geleistet worden, für die der Beklagte einzustehen habe, weil er, ohne formell Geschäftsführer zu sein, bei der Gemeinschuldnerin tatsächlich wie ein Geschäftsführer tätig geworden sei und die notwendige Konkursanmeldung verzögert habe. Dadurch sei der Gemeinschuldnerin ein Schaden von über 20 Mio DM entstanden. Einen Teilbetrag von 51.000 DM macht der Kläger in dem gegenwärtigen Rechtsstreit gegen den Beklagten geltend, nachdem eine frühere Teilklage über 10.000 DM in der Berufungsinstanz erfolglos geblieben war. Der Beklagte trägt vor, die Gemeinschuldnerin sei zwar von der D. beherrscht worden und an deren Weisungen gebunden gewesen. Gesellschaftsrechtlich sei sie jedoch durch ihre eigenen Geschäftsführer vertreten worden. Da er sich auf das Verkaufsgeschäft der Gemeinschuldnerin konzentriert habe und nur wenige Tage im Monat in B. (Geschäftssitz der Gemeinschuldnerin) anwesend gewesen sei, könne keine Rede davon sein, daß er die Geschäfte der Gemeinschuldnerin wie ein Geschäftsführer betrieben und einen Überblick über ihre finanzielle Situation gehabt habe, der ausgereicht hätte zu beurteilen, wann die Stellung des Konkursantrags erforderlich gewesen wäre.
Das Landgericht hat der Klage wie im Vorprozeß stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Zurückverweisung.
Das Berufungsgericht läßt es dahingestellt, ob Normadressat des § 130a HGB wie bei §§ 64 GmbHG, 92 AktG auch derjenige sei, der in bestimmter Weise die tatsächliche Geschäftsführung ausgeübt habe. Denn jedenfalls reiche es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dafür nicht aus, daß sich der Betreffende in die Geschäftsführung einmische oder erheblichen Einfluß auf die Geschäftsführung durch die dazu Berufenen ausübe. Haftbar sei vielmehr nur derjenige, der selbst wie ein Geschäftsführer die Geschäfte führe, also nach Art und Umfang die Tätigkeit eines Geschäftsführers ausübe bzw. den persönlich haftenden Gesellschafter völlig aus der ihm gesetzlich zugewiesenen Geschäftsführung verdränge und sich allgemein an dessen Stelle setze. Diese Voraussetzungen seien nach der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme im vorliegenden Fall schon deshalb nicht erfüllt, weil sich der Beklagte weder ständig noch überwiegend, sondern nur in regelmäßigen Abständen am Geschäftssitz der Gemeinschuldnerin aufgehalten habe. Ein Handelsunternehmen bedürfe in aller Regel einer Geschäftsleitung, die nur durch ständig, zumindest aber überwiegend am Geschäftssitz anwesende, zur Vornahme aller Handlungen und Erklärungen fähige Personen ausgeübt werden könne. Die nur sporadische Anwesenheit des Beklagten spreche deshalb entscheidend dagegen, ihn als tatsächlichen Geschäftsführer im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu behandeln. Gegenüber dieser Gesamtschau rechtfertigten die vom Landgericht zusammengetragenen Einzelfeststellungen keine abweichende Beurteilung. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, trifft die Verpflichtung zur Stellung des Konkursantrags (§§ 64 GmbHG, 92 AktG) und die zivil – wie strafrechtliche Verantwortung für dessen Versäumung nach der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum nicht nur denjenigen, der förmlich zum Geschäftsführer oder Vorstand bestellt ist, sondern auch denjenigen, der ohne eine solche Organstellung zu bekleiden, tatsächlich wie ein geschäftsführendes Organ tätig wird (vgl. BGHSt 3, 32ff.; 21, 101ff.; 31, 118ff.; Urt. v. 24.10.1973 – VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354f.; BGHZ 75, 96, 106f.; GmbHG 7. Aufl. § 64 Rdnr. 11; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG 14. Aufl. § 64 Rdnr. 6; Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG 6. Aufl. § 64 Rdnr. 35). Für die GmbH & Co. KG kann, was auch das Berufungsgericht als naheliegend bezeichnet, im Grundsatz nichts anderes gelten, nachdem das Gesetz (§§ 130a, 177a HGB) den Organen dieser Gesellschaft im wesentlichen inhaltsgleiche, nach dem Vorbild der §§ 64 GmbHG, 92 AktG ausgestaltete Verpflichtungen mit entsprechender Haftungsfolge im Verletzungsfall auferlegt hat (ebenso Schlegelberger/Karsten Schmidt, HGB 5. Aufl. § 177a Rdnr. 8; Baumbach/Duden/Hopt, HGB 27. Aufl. § 130a Anm. 1C).
Das Berufungsgericht überspannt jedoch die Anforderungen an die Annahme einer tatsächlichen Geschäftsführung in dem vorbezeichneten Sinne und verkennt damit deren rechtliche Voraussetzungen, wenn es diese im vorliegenden Fall nicht als erfüllt ansehen will. Dies gilt auch dann, wenn man es für die Gleichstellung des tatsächlichen mit dem organschaftlich berufenen Geschäftsführer nicht für ausreichend erachtet, daß jener aufgrund einer beherrschenden Stellung in der Gesellschaft Einfluß auf die Entscheidungen der zur Geschäftsführung berufenen Organe nimmt (so aber vor allem Karsten Schmidt in Scholz aaO sowie in JZ 1978, 661, 666 re.Sp.), sondern es für erforderlich hält, daß er selbst die Geschäfte der Gesellschaft wie ein Geschäftsführer geführt hat (so die beiden vorstehend zitierten Entscheidungen des VIII. und II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes sowie Ulmer, Schulze-Osterloh und Hopt, jeweils aaO). Insbesondere kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden, wenn es davon ausgeht, eine haftungsauslösende tatsächliche Geschäftsführung könne nur dann angenommen werden, wenn eine „essentielle Verdrängung” der Geschäftsführung aus ihrer gesetzlichen Stellung in dem Sinne feststellbar sei, daß der tatsächliche den nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag zur Vertretung berufenen Geschäftsführer völlig aus der ihm gesetzlich zugewiesenen Geschäftsführung verdrängt und sich allgemein an seine Stelle gesetzt habe. Wenn das Berufungsgericht meint, etwas anderes aus dem Urteil des Senats in BGHZ 75, 96, 106f. entnehmen zu müssen, so beruht dies auf einer Verkennung der Tragweite dieser Entscheidung. Es handelte sich dort darum, für den Sonderfall einer Kommanditgesellschaft auf Aktien mit nur einem persönlich haftenden und deshalb zur organschaftlichen Geschäftsführung der Gesellschaft berufenen Gesellschafter (§ 278 Abs. 2 AktG, §§ 164, 114 HGB) den Gebrauch von Herrschaftsmacht zur Erteilung von Weisungen an den vertretungsberechtigten Geschäftsführer von der eigenen Übernahme der Geschäftsführung abzugrenzen, wie auch daraus hervorgeht, daß der Senat darauf abgestellt hat, die ordentliche Geschäftsleitung habe trotz der sehr starken internen Stellung der Beklagten die Bank bis zu deren Schliessung unter voller Eigenverantwortung weitergeführt. Sollte dieser Entscheidung der Grundsatz zu entnehmen sein, daß der gesetzliche Geschäftsführer völlig mit der Folge aus seiner Stellung verdrängt worden sein müsse, daß die Geschäftsführung ausschließlich in den Händen des faktischen Geschäftsführers gelegen habe, so könnte daran nicht festgehalten werden. Der Grund für die Haftung des tatsächlichen Geschäftsführers liegt letztlich darin, daß derjenige, der ohne dazu berufen zu sein, wie ein Geschäftsführer handelt, auch die Verantwortung eines Geschäftsführers tragen und wie ein solcher haften muß, wenn nicht der Schutzzweck des Gesetzes gefährdet werden soll. Dazu ist es jedoch nicht erforderlich, daß er die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdrängt hat. Es muß jedenfalls bei der GmbH, die auf Fremdorganschaft beruht und stets mehrere Geschäftsführer haben kann, ausreichen, daß der Betreffende in maßgeblichem Umfang Geschäftsführungsfunktionen übernommen hat, wie sie nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag für den Geschäftsführer oder Mitgeschäftsführer kennzeichnend sind. Dagegen steht es der Verantwortung und Haftung aus §§ 130a, 177a HGB nicht entgegen, wenn daneben in begrenztem Maße eine Geschäftsführung durch die dazu berufenen Gesellschaftsorgane weiterläuft. Entscheidend kann allein eine materielle Betrachtung sein, die aufgrund einer Gesamtschau darauf abstellt, ob der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft – und zwar nicht nur durch interne Einwirkung auf die satzungsmäßigen Geschäftsführer, sondern durch eigenes, auch nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnendes Handeln – so maßgeblich in die Hand genommen hat, daß ihm auch die Verantwortung für die rechtzeitige Stellung des Konkursantrages zufällt.
Die mithin erforderliche Gesamtwürdigung kann der Senat, da es dazu keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen bedarf, selbst vornehmen. Danach hat der Beklagte bei der Gemeinschuldnerin mindestens in den letzten Jahren vor Eintritt der Konkursreife Aufgaben der Geschäftsführung an sich gezogen, die es rechtfertigen, ihn wie einen Geschäftsführer für die Nichterfüllung der Pflichten aus §§ 130a, 177a HGB verantwortlich zu machen. Nach den Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils, die auch das Berufungsgericht zugrundelegt, war der Beklagte nicht nur innerhalb der Gemeinschuldnerin, insbesondere gegenüber deren Mitarbeitern, die überragende und beherrschende Persönlichkeit in der Geschäftsleitung, die sich um alles kümmerte, sämtliche wesentlichen, für die Führung des Unternehmens bedeutsamen Entscheidungen traf und der sich die ordentlichen Geschäftsführer, denen gegenüber er als Chef auftrat, völlig unterordneten. Er hat vielmehr auch nach außen im Verhältnis zu den Kunden der Gesellschaft, die er regelmäßig aufsuchte, den für das Unternehmen der Gemeinschuldnerin entscheidend wichtigen Verkaufssektor unter Ausschaltung der Geschäftsführer völlig an sich gezogen, in eigener Verantwortung das Personal eingestellt und eigenverantwortlich ohne Hinzuziehung der ordentlichen Geschäftsführer die Kreditverhandlungen – jedenfalls mit dem wichtigsten Kreditgeber der Gemeinschuldnerin – in einer Weise geführt, die seinen Verhandlungspartnern den Eindruck vermittelte, die satzungsmäßigen Geschäftsführer hätten nichts mehr zu sagen. In welchem Maße sich der Beklagte zuletzt an die Stelle der ordentlichen Geschäftsführung gesetzt hatte, zeigt sich ferner daran, daß er im November 1981 wie ein Geschäftsführer die Inventurliste der Gemeinschuldnerin und sogar deren Bilanz per 31. Dezember 1980 unterzeichnete. Den ordentlichen Geschäftsführern blieben ab 1979/1980 als Aufgabengebiete im wesentlichen nur noch Verhandlungen mit Lieferanten, die Bezahlung kleinerer Handwerkerrechnungen oder die Einstellung einer Aushilfskraft, so daß das Landgericht in seinem unstreitigen Tatbestand, auf den sich auch das Berufungsgericht bezieht, unwidersprochen feststellen konnte, ab etwa 1980 hätten die eingetragenen Geschäftsführer nur noch in sehr eingeschränktem Rahmen bzw. überhaupt keine zur Geschäftsleitung gehörenden Maßnahmen mehr getroffen. Wenn das Berufungsgericht demgegenüber rechtlich darauf abstellen will, der Beklagte sei schon deshalb nicht „wie ein Geschäftsführer” für die Gemeinschuldnerin tätig gewesen, weil die Geschäftsleitung eines Handelsunternehmens in aller Regel nur durch eine ständig, zumindest aber überwiegend anwesende, zur Vornahme aller anfallenden Handlungen und Erklärungen fähige Person ausgeübt werden könne, der Beklagte sich aber nur sporadisch am Geschäftssitz der Gesellschaft aufgehalten habe, so verkennt es – abgesehen davon, daß es dabei die durch regelmäßige Reisen ausgeübte Übernahme des gesamten Verkaufssektors durch den Beklagten unberücksichtigt läßt –, daß es für die Frage, wer die Geschäftsleitung einer Gesellschaft tatsächlich innehat, nicht darauf ankommen kann, wer die laufenden Routineangelegenheiten erledigt, sondern allein darauf, wer die maßgeblichen, für den wirtschaftlichen Fortbestand des Gesellschaftsunternehmens entscheidenden Maßnahmen trifft.
Ohne Bedeutung für die Entscheidung des Rechtsstreits ist es entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung, daß der Beklagte die tatsächliche Geschäftsführung der Gemeinschuldnerin in erster Linie im Interesse der „D.” ausgeübt haben mag. Dieser Umstand kann die ihn als faktischen Geschäftsführer treffende Verantwortlichkeit für die rechtzeitige Stellung des Konkursantrags ebensowenig beseitigen als wenn er auf Verlangen der D. und zur Wahrung ihrer Gesellschafterinteressen bei der Gemeinschuldnerin förmlich zum (Mit-)Geschäftsführer bestellt worden wäre.
Der Rechtsstreit ist jedoch noch nicht zur Entscheidung reif, weil das Berufungsgericht aufgrund seiner abweichenden Rechtsansicht keine Feststellungen zum Umfang der von dem Beklagten zu verantwortenden Pflichtverletzungen sowie zu dessen Verschulden getroffen hat. Deshalb muß die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 648040 |
BGHZ, 44 |
NJW 1988, 1789 |
ZIP 1988, 771 |
DNotZ 1988, 793 |