Leitsatz (amtlich)
a) Eine Bürgschaft kann schön deshalb nichtig sein, weil ein besonders grobes Mißverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Bürgen besteht und dieser aus Geschäftsunerfahrenheit ohne wesentliches Eigeninteresse gehandelt hat.
b) Veranlassen Eltern hauptsächlich aus eigenem Interesse ihre geschäftsunerfahrenen Kinder, eine Bürgschaft zu leisten, die deren voraussichtliche finanzielle Leistungsfähigkeit bei weitem übersteigt, so verletzen die Eltern in der Regel ihre familienrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 1618 a BGB) und handeln wider die guten Sitten. Hat die Gläubigerbank ein solches Handeln der Eltern gekannt oder grob fahrlässig außer acht gelassen, kann die Bürgschaft nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein.
Normenkette
BGB §§ 765, 138, 1618a
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 02.04.1993) |
LG Mainz |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 2. April 1993 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Mutter des im Jahre 1960 geborenen Beklagten war Eigentümerin mehrerer zusammenhängender Grundstücke in Essen. Dort wollte der damals 74 Jahre alte Vater des Beklagten im Jahre 1984 ein Bauprojekt errichten, dessen Kosten er auf etwa 8,6 Mio DM veranschlagte. Die Rheinische Hypothekenbank, eine Tochtergesellschaft der Klägerin, gewährte dem Beklagten und dessen Eltern dafür ein Darlehen von 5,4 Mio DM, das durch eine erstrangige Grundschuld gesichert wurde. Die klagende Bank führte die Zwischenfinanzierung durch und stellte den Eltern des Beklagten für das Bauvorhaben einen zusätzlichen Privatkredit von 2,3 Mio DM zur Verfügung. Als Sicherheit verlangte sie eine nachrangige Grundschuld sowie die Bürgschaft des Beklagten.
Am 13. März 1984 übernahm der Beklagte schriftlich die selbstschuldnerische Bürgschaft für alle bestehenden und künftigen Ansprüche der Klägerin gegen seine Eltern „aus der Geschäftsverbindung, insbesondere aus laufender Rechnung und aus der Gewährung von Krediten jeder Art, aus abgetretenen oder kraft Gesetzes übergegangenen Forderungen sowie aus Wechseln (auch soweit diese von Dritten hereingegeben worden sind)”. Der Beklagte war damals Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr mit einem monatlichen Einkommen von ca. 1.500 DM, hatte kein weiteres Vermögen und beabsichtigte, später Medizin zu studieren. Heute ist er als Journalist tätig.
Das Bauprojekt scheiterte infolge von Kostensteigerungen. Im Mai 1986 kündigte die Klägerin die gewährten Kredite. Die Grundstücke wurden zwangsversteigert. Die Klägerin fiel mit ihren Forderungen in Höhe von mehr als 2 Mio DM aus. Die Eltern des Beklagten haben ihr Vermögen verloren; der Vater ist inzwischen verstorben.
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus der Bürgschaft in Höhe eines Teilbetrages von 500.000 DM in Anspruch, Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
A.
Das Berufungsgericht hat den Bürgschaftsvertrag als wirksam angesehen. Die Verpflichtung des Beklagten verstoße auch dann nicht gegen die guten Sitten im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB, wenn er sie allein aus familiärer Hilfsbereitschaft übernommen habe. Er sei nicht durch unlautere Mittel zur Abgabe des Bürgschaftsversprechens veranlaßt worden. Aus den vom Beklagten dargelegten Umständen ergebe sich nicht, daß das beabsichtigte Projekt besonders risikoreich gewesen sei und die Klägerin von Anfang an mit dem Scheitern der Finanzierung habe rechnen müssen. Die Bürgschaft sei auch nicht infolge des erheblichen Umfangs der Haftung sittenwidrig; denn der Verkehrswert der Baugrundstücke hätte nach Fertigstellung des Projekts ca, 8,9 Mio DM betragen, die Eltern hätten mit einem monatlichen Mietertrag von 65.000 DM gerechnet, und der Beklagte habe bei gesetzlicher Erbfolge erwarten können, einmal ein beträchtliches Vermögen zu erwerben.
B.
Diese Erwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
I.
Das Berufungsgericht geht ohne weiteres davon aus, daß die Bürgschaftsurkunde die Hauptschuld hinreichend bestimmt. Das ist im Ergebnis insoweit zutreffend, als Ziffer 1 des Formulars Ansprüche aus der Geschäftsverbindung zwischen der Klägerin und den Eltern des Beklagten erfaßt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, an der der Senat festhält, ist der Schuldgrund hinreichend bestimmt, wenn auf bestehende und künftige Forderungen verwiesen wird, die aus einem festgelegten Kreis von Rechtsbeziehungen entstehen können. Dieser ist mit dem Begriff der Geschäftsverbindung, die im anschließenden Halbsatz – „insbesondere aus laufender Rechnung und aus der Gewährung von Krediten jeder Art” – näher erläutert wird, genügend konkret beschrieben (vgl. BGHZ 25, 318, 321; BGH, Urt. v. 6. Dezember 1984 – IX ZR 115/83, NJW 1985, 848; v. 16. Januar 1992 – IX ZR 113/91, ZIP 1992, 233). Ob die weiteren Teile der Klausel ebenfalls nur die bankmäßige Geschäftsverbindung erläutern oder eine darüber hinausgehende Verpflichtung ohne jede sachliche Begrenzung begründen sollen, die unwirksam wäre (vgl. Senatsurt. v. 5. April 1990 – IX ZR 111/89, NJW 1990, 1909; v, 16. Januar 1992 a.a.O. S. 234), ist hier unerheblich. Denn auch in letzterem Falle bleibt die Bürgschaftsverpflichtung, die sich auf Verbindlichkeiten aus der Geschäftsverbindung zwischen der. Klägerin und den Hauptschuldnern bezieht, davon unberührt. Der erste Teil der Bestimmung der Hauptschuld läßt sich von den nachfolgenden Zusätzen inhaltlich und sprachlich trennen; er ergibt für sich allein einen vollständigen Sinn und bleibt daher gemäß § 6 Abs. 1 AGBG wirksam. Die hier zu beurteilende Bürgschaftsklausel entspricht in Form und Inhalt im wesentlichen derjenigen, die der Senat im Urteil vom 16. Januar 1992 (a.a.O.) zu würdigen hatte. Die dort aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Aufrechterhaltung des zulässigen Teils einer AGB-Bestimmung (vgl. BGHZ 106, 19, 25; 107, 185, 190; 109, 197, 203) abgeleiteten Gründe gelten hier in gleicher Weise.
II.
Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Frage, ob der Bürgschaftsvertrag vom 13. März 1984 wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig ist, beginnen beim richtigen Ausgangspunkt, bestimmen jedoch die Grenze, von der ab § 138 Abs. 1 BGB Anwendung findet, nicht zutreffend.
1. Ein Rechtsgeschäft ist nach dieser Vorschrift nur dann nichtig, wenn es in seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter den guten Sitten widerspricht, wobei allein auf die Umstände bei Vertragsschluß abzustellen ist (BGHZ 86, 82, 88; 107, 92, 97; BGH, Urt. v. 16. Januar 1992, a.a.O. S. 235). Die Tatsache, daß der Inhalt des Vertrages nur den Beklagten in erheblichem Umfang belastet, stellt für sich die Wirksamkeit der Bürgschaft noch nicht in Frage. Diese hat vielmehr schon kraft Gesetzes in aller Regel eine einseitige Verpflichtung zugunsten des Gläubigers zum Gegenstand. Inhalt und Sinn eines solchen Vertrages bestehen grundsätzlich ausschließlich darin, dem Gläubiger eine Sicherung für bestimmte Ansprüche gegen den Hauptschuldner zu gewähren. Die Bürgschaft ist daher strukturell nicht von einer angemessenen und im Grundsatz gleichwertigen Berücksichtigung gegenseitiger Interessen geprägt, sondern in ihrem rechtlichen Kern darauf angelegt, nur einer Seite Vorteile zu verschaffen.
2. Die eingegangene Verpflichtung ist auch nicht bereits deshalb rechtlich zu mißbilligen, weil der Bürge im Zeitpunkt seiner Willenserklärung nicht die Einkünfte oder das Vermögen zur Erfüllung der Verbindlichkeiten hatte, für die er haften soll. Die von der Verfassung im Rahmen von Gesetz und Recht gewährleistete Privatautonomie umfaßt unter anderem die Freiheit der Vertragsgestaltung. Diese bildet eine wesentliche Grundlage der geltenden Privatrechtsordnung. Aus der Vertragsfreiheit folgt, daß es grundsätzlich jedem unbenommen sein muß, in eigener Verantwortung auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistunden zu verpflichten, die nur unter besonders günstigen Bedingungen, gegebenenfalls unter dauernder Inanspruchnahme des pfändungsfreien Einkommens, erbracht werden können. Diesem die Rechtsprechung des erkennenden Senats prägenden Grundsatz (vgl. BGHZ 106, 269, 272; 107, 92, 98; BGH, Urt. v. 16. Mai 1991 – IX ZR 245/90, NJW 1991, 2015, 2016; V. 16. Januar 1992 – IX ZR 113/91, ZIP 1992, 233, 235 f) stimmt der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zu (Urt. v. 24. November 1992 – XI ZR 98/92, ZIP 1993, 26, 27, z.V. in BGHZ 120, 272 bestimmt). In der Regel vermag jede unbeschränkt geschäftsfähige Person zu erkennen, daß sie mit einer Bürgschaft ein erhebliches persönliches Risiko eingeht, die Tragweite ihres Handelns entsprechend einzuschätzen und danach ihre Entscheidung zu treffen. Davon ist im Ansatz auch dann auszugehen, wenn der Bürge dem Hauptschuldner verwandtschaftlich eng verbunden ist (BGHZ 106, 269, 272; 107, 92, 103; Urt. v. 16. Mai 1991 – IX ZR 245/90; v. 16. Januar 1992 – IX ZR 113/91; jeweils a.a.O.).
3. Verpflichtet sich der Bürge in einem Umfang, der seine gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit übersteigt, kann ein solcher Vertrag jedoch dann gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn der Bürge durch weitere Umstände in einer dem Gläubiger zurechenbaren Weise zusätzlich erheblich belastet wird, die zu einem unerträglichen Ungleichgewicht der Vertragspartner führen. Solche Belastungen können sich insbesondere daraus ergeben, daß der Gläubiger die geschäftliche Unerfahrenheit oder eine seelische Zwangslage des Bürgen ausnutzt oder auf andere Weise ihn in seiner Entscheidungsfreiheit unzulässig beeinträchtigt.
III.
Das Berufungsgericht hat keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, die den Behauptungen des Beklagten entgegenstehen. Daher ist für die revisionsrechtliche Prüfung von seinem Vorbringen auszugehen. Auf dieser Grundlage ist der Bürgschaftsvertrag gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
1. Die Unwirksamkeit des Vertrages folgt bereits aus dem besonders groben Mißverhältnis zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Beklagten in Verbindung mit dessen geschäftlicher Unerfahrenheit.
a) Nur in besonders gelagerten krassen Ausnahmefällen kann die Bürgschaft schon wegen des Umfangs der Verpflichtung sittenwidrig sein. Das kommt dann in Betracht, wenn die Verbindlichkeit, für die der Bürge einstehen soll, so hoch ist, daß bereits bei Vertragsschluß feststeht, er werde, wenn sich das Risiko verwirklicht, auch bei günstigster Prognose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Forderung des Gläubigers nicht einmal zu großen Teilen tilgen können. Einer derartigen Verpflichtung fehlt von vornherein jeder vernünftige wirtschaftliche Sinn, sofern der Bürge nicht einmal an dem Projekt, dessen Durchführung das Rechtsgeschäft zwischen Gläubiger und Hauptschuldner dient, rechtlich oder wirtschaftlich in wesentlichem Maße beteiligt ist. In einem solchen Falle droht dem Bürgen eine Schuld, von der er sich lebenslang niemals aus eigenen Kräften befreien kann, ohne daß dem wenigstens die Chance gegenübersteht, wesentliche Vorteile für die eigene Lebensgestaltung zu gewinnen.
b) Nach dem Vorbringen des Beklagten sind Gründe in seiner Person, die es rechtfertigen könnten, ihn allein unter Hinweis auf die Eigenverantwortung für sein Handeln an einer Bürgschaft von so außergewöhnlichem Umfang festzuhalten, nicht gegeben. Der Beklagte hatte weder aufgrund seiner Ausbildung noch durch praktische Tätigkeit im Erwerbsleben geschäftliche Erfahrung erworben. Er war die Verpflichtung nur aus Hilfsbereitschaft zu seinen Eltern eingegangen. Zwar konnte er bei einem Gelingen des Bauvorhabens damit rechnen, einmal erhebliche Vermögenswerte zu erben. Darauf kommt es indessen rechtlich nicht an, weil der Beklagte über die bloße Chance, irgendwann einmal Erbe zu werden, hinaus nichts erhielt, was seine Rechtsstellung im Hinblick auf das noch zu bildende Vermögen hätte stärken können. Wäre der Bürgschaftsvertrag schon infolge der Erbaussicht als zulässiges Risikogeschäft zu behandeln, so würde dem Bürgen der Schutz, den er verdient, nahezu immer versagt; denn es wird in aller Regel so sein, daß das Kind im Erbfall Vorteile erwarten kann, wenn das risikoreiche Geschäft der Eltern gelingt.
c) Hat der Gläubiger Anlaß zu der Befürchtung, der Hauptschuldner werde sein Vermögen auf ihm nahestehende Personen übertragen und damit die Durchsetzung der Darlehensforderungen gefährden, kann dies im Einzelfall ein berechtigtes Interesse an Bürgschaften von Familienangehörigen begründen. Hier indessen kam solchen Erwägungen keine wesentliche Bedeutung zu. Von Anfang an bestanden keine Zweifel daran, daß die Hauptschuldner den bewilligten Kredit ausschließlich für die Errichtung des Bauvorhabens in Essen verwenden würden, um den „Lebenstraum” des Vaters zu verwirklichen. Die Klägerin und ihre Tochtergesellschaft, die Rheinische Hypothekenbank, hatten zudem im Umfang der Gesamtforderung vorrangige dingliche Sicherheiten an den betreffenden Grundstücken erhalten. Die Klägerin hatte danach keine erheblichen Nachteile durch Vermögensverschiebungen auf den Beklagten zu befürchten. Selbst wenn dies jedoch anders zu sehen wäre, stände eine Bürgschaft in der hier vereinbarten Höhe völlig außer Verhältnis zum Umfang des insoweit in Betracht kommenden Risikos.
d) Für die Klägerin war das krasse Mißverhältnis zwischen dem Umfang der Verpflichtung des Beklagten und dessen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit klar ersichtlich; sie konnte nicht ernsthaft annehmen, er werde in der Lage sein, gegebenenfalls eine Millionenverbindlichkeit in absehbarer Zeit zu tilgen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, daß junge Erwachsene, die sich noch in der Ausbildung oder erst am Anfang ihrer beruflichen Entwicklung befinden, nicht über erhebliches Vermögen oder weit überdurchschnittliche Einkünfte verfügen, sofern nicht konkrete Tatsachen auf das Gegenteil hindeuten. Dies gilt insbesondere dann, wenn schon die Eltern der Bank keine anderweitigen Sicherheiten bieten können und gerade deshalb auf die Bürgschaft des Kindes angewiesen sind, um den begehrten Kredit zu erhalten. Danach drängte sich der Klägerin die Erkenntnis auf, daß der Beklagte aus Unerfahrenheit eine Verpflichtung einging, die ihn bei Eintritt des Risikos finanziell völlig überforderte.
Es entspricht zudem banküblicher Gepflogenheit, die Sicherheiten, von deren Leistung die Auszahlung des Darlehens abhängig sein soll, auf ihre Werthaltigkeit zu überprüfen; denn ohne entsprechende Feststellungen kann die Sicherungsabrede ihren wirtschaftlichen Zweck regelmäßig nicht erfüllen. Hat die Bank dagegen bei Kindern des Hauptschuldners, die eine sehr hohe Bürgschaft erteilen, von entsprechenden Nachforschungen abgesehen, läßt dies regelmäßig nur die Deutung zu, daß ihr entweder die finanziellen Verhältnisse des Bürgen ohnehin bekannt waren oder sie sich der Erkenntnis, welchen geringen Wert die Sicherheit bietet, bewußt verschlossen hat.
2. Die Bürgschaft des Beklagten ist aber auch deshalb nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, weil seine Eltern in rechtlich zu mißbilligender Weise – unter Verstoß gegen § 1618 a BGB – die Entschließung, sich gegenüber der Klägerin zu verpflichten, beeinflußt haben. Die Bank muß sich diese Umstände zurechnen lassen; denn sie hat die Einwirkung der Hauptschuldner auf den Bürgen mindestens grob fahrlässig außer acht gelassen.
a) Die grundrechtlich geschützte Privatautonomie vermag das Abschließen risikoreicher und zugleich einseitig belastender Geschäfte nur zu rechtfertigen, sofern beide Partner in der Lage sind, sich in Freiheit für oder gegen eine vertragliche Bindung zu entscheiden. Erst diese Freiheit sowie die uneingeschränkte Erkenntnismöglichkeit, mit welchen Rechtsfolgen die in Frage stehende Verpflichtung verbunden sein kann, ergeben die Rechtfertigung dafür, den Bürgen trotz ihn außergewöhnlich belastender Rechtsfolgen an der selbstverantwortlich getroffenen Entscheidung festzuhalten (BVerfG ZIP 1993, 1775, 1779).
Die Gefahr, daß dem Bürgen eine freie Entscheidung in unzumutbarer Weise erschwert wird, besteht besonders dann, wenn junge Erwachsene, die noch in der Ausbildung oder am Anfang ihrer beruflichen Tätigkeit stehen, mit anderen Worten geschäftlich unerfahren sind, von ihren Eltern gebeten werden, zu deren Gunsten eine Haftung für Verbindlichkeiten aus Rechtsgeschäften zu übernehmen, an denen die Kinder selbst kein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse haben. Treten Eltern mit einem solchen Ansinnen an sie heran, werden gerade junge, erst wenige Jahre volljährige Erwachsene, deren persönliche Beziehung zu ihren Eltern ungestört ist, sich in ihrer Entschließung hauptsächlich davon leiten lassen, dem Wunsch der Eltern zu entsprechen. Gerade dann kann es leicht geschehen, daß emotionale Erwägungen im Vordergrund stehen und die Bürgschaft allein im Vertrauen auf Fähigkeiten und gute Absichten der Eltern erteilt wird. In solchen Fällen liegt es daher besonders nahe, daß der Bürge die Notwendigkeit, sich das erhebliche Risiko bewußt zu machen, das er für seine weitere Lebensgestaltung eingeht, verdrängt. Junge Erwachsene, die in der Regel noch über geringe geschäftliche Erfahrung verfügen, sind in einer solchen Situation besonders in der Gefahr, nicht frei und nüchtern zu entscheiden, sondern dem Wunsch der Eitern aus einer seelischen Zwangslage heraus ohne größere Überlegung zu entsprechen. Sie vermögen dann schwerlich das Ausmaß der Folgen zu sehen, die ihre Unterschrift möglicherweise nach sich zieht.
b) Das Begehren der Eltern an ihre erwachsen gewordenen Kinder, allein aus familiärer Hilfsbereitschaft eine Bürgschaft zu leisten, die weit über deren finanzielle Leistungsfähigkeit hinausgeht, ist häufig sittlich fragwürdig und mit den auch volljährigen Kindern gegenüber bestehenden Pflichten nicht zu vereinbaren. Schon die Gestaltung des Unterhaltsrechts, besonders aber die mit der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge eingeführte Bestimmung des § 1618 a BGB macht deutlich, daß Eltern und Kinder einander lebenslang Beistand und Rücksichtnahme schulden (vgl. BVerfGE 57, 170, 178; Knöpfel FamRZ 1985, 554 ff). Diese Norm begründet echte Rechtspflichten, an deren Verletzung freilich keine unmittelbaren Sanktionen geknüpft sind (MünchKomm-BGB/Hinz, 3. Aufl. § 1618 a Rdnr. 2; Soergel/Strätz, BGB 12. Aufl. § 1618 a Rdnr. 3). Insbesondere die Verpflichtung zur Rücksichtnahme kann es gebieten, eigene Wünsche zurückzustellen, wenn dies bei vernünftiger Abwägung mit den Interessen des anderen sachlich geboten ist. Veranlassen Eltern ihre Kinder, eine Bürgschaft zu leisten, die zur Folge hat, daß jene bei Eintritt des Risikos auf unabsehbare Zelt oder gar lebenslang hohe Zahlungen an den Gläubiger leisten müssen, so gefährden sie nachhaltig deren gesamte eigenständige Lebensgestaltung, die sich häufig erst im Aufbau befindet. Eine solche Einwirkung auf volljährig gewordene Kinder widerspricht einem Verhalten, wie es § 1618 a BGB für die gegenseitige Beziehung von Eltern und Kindern vorschreibt, und ist auch mit den allgemein anerkannten Anschauungen zur Verantwortung der Eltern ihren erwachsenen Kindern gegenüber grundsätzlich unvereinbar.
Dies alles hat im Streitfall besonderes Gewicht. Die Bürgschaft sollte der Durchsetzung eines Vorhabens dienen, auf das die Eltern des Beklagten in keiner Weise angewiesen waren. Das finanzielle Gesamtvolumen des Bauprojekts war auf ca. 8,6 Mio DM kalkuliert. Davon mußten etwa 7,5 Mio DM fremdfinanziert werden. Ein wesentlicher Teil des Eigenkapitals sollte zudem durch Architektenleistungen des Vaters aufgebracht werden. Damit war von Anfang an unschwer zu erkennen, daß die Erstellung des geplanten Objekts mit nicht geringen finanziellen Risiken verbunden, die Bürgschaft für den Beklagten also gefährlich war.
c) Freilich kennzeichnen diese Umstände in erster Linie ein sittenwidriges Handeln im Verhältnis zwischen Hauptschuldner und Bürgen. Sie bleiben jedoch nicht ohne Einfluß auf die Rechtsbeziehung des Bürgen zur Gläubigerbank. Zwar ist es dieser nicht zuzumuten, im Einzelfall aufzuklären, ob der Bürge tatsächlich in seiner freien Entscheidung beeinträchtigt ist, insbesondere, ob und in welcher Weise die Eltern Druck auf ihre Kinder ausgeübt haben. Die geschilderte Gefahr, in die der Bürge in solchen Fällen häufig gerät, hat jedoch Auswirkungen auf die Anforderungen an das Verhalten der Bank, wenn es darum geht, welche Sicherheiten sie von dem Kreditnehmer verlangt und akzeptiert. Benötigt die Bank nach ihrer Auffassung für ein beantragtes Darlehen eine Sicherheit und macht sie deshalb die Auszählung davon abhängig, daß der Kunde die Bürgschaft seines Kindes in einem Umfang beibringt, der dessen finanzielle Leistungsfähigkeit voraussichtlich bei weitem übersteigt, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob der Gläubigerin die sittlich und rechtlich zu mißbilligende Einflußnahme des Hauptschuldners auf den Bürgen bekannt war oder sie sich einer solchen Erkenntnis bewußt verschlossen hat. Trifft dies zu, ist dem Kreditinstitut das gegen § 1618 a BGB verstoßende Verhalten des Darlehensnehmers zuzurechnen. Dies rechtfertigt es regelmäßig, die Bürgschaft selbst als sittenwidrig anzusehen. Die Bank darf daher grundsätzlich nicht an ihren Kunden mit dem Ansinnen herantreten, ihr als Sicherheit die Bürgschaft eines Kindes zu geben, das noch geschäftsunerfahren ist, an der Gewährung des Kredits kein eigenes Interesse hat und bei Eintritt des Risikos voraussichtlich auf längere Zeit nicht in der Lage sein wird, die gesicherte Verbindlichkeit zu tilgen. Soweit der Senat in früheren Urteilen den hier dargelegten Gefahren für die Entscheidungsfreiheit des Bürgen und den daraus folgenden Pflichten der Bank keine entsprechende Bedeutung beigemessen hat (BGHZ 106, 269, 272; Urt. v. 16. Mai 1991 – IX ZR 245/90, NJW 1991, 2015, 2017), wird an dieser Auffassung nicht mehr festgehalten.
Die Klägerin, der auch das Risiko der Finanzierung nicht verborgen geblieben sein konnte, hat die Darlehensnehmer aufgefordert, die Bürgschaft ihres Sohnes in dem beschriebenen Umfang beizubringen. Nach der Behauptung des Beklagten nahm die Klägerin nicht an, er sei an dem geplanten Objekt selbst in wesentlichem Umfang wirtschaftlich beteiligt. Weiter war für sie klar ersichtlich, daß der geschäftsunerfahrene Beklagte durch die Bürgschaft finanziell weit überfordert wurde (vgl. oben 1 d). Daher bewirkt die eigene Beteiligung der Klägerin an der rechtlich zu mißbilligenden Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Beklagten die Nichtigkeit des Bürgschaftsvertrages nach § 138 Abs. 1 BGB.
C.
Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden; denn sie bedarf weiterer tatrichtlicher Aufklärung.
1. Nach dem von der Klägerin dargelegten Sachverhalt War der Bürgschaftsvertrag nicht gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
a) Die Klägerin hat substantiiert vorgetragen, der Beklagte habe ein erhebliches eigenes wirtschaftliches Interesse an der Kreditgewährung gehabt; denn es sei beabsichtigt gewesen, daß er die Hausverwaltung übernehme und die Zwischenvermietung durchführe. Aus diesem Grunde habe der Beklagte auch den Darlehensvertrag mit der Rheinischen Hypothekenbank als Mitantragsteller unterzeichnet. Trifft dies alles zu, sollte der Beklagte – bei kalkulierten Nettomieteinnahmen von 890.000 DM jährlich (vgl. GA Bl. 9) – möglicherweise partnerschaftlich, einem Mitunternehmer vergleichbar, in das geplante Bauprojekt einbezogen werden. Er könnte dann zu behandeln sein wie jeder Dritte, der ein unmittelbares Interesse an der Errichtung des Bauvorhabens und der Gewährung des Kredites hatte.
Die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB könnten auch dann zu verneinen sein, wenn die Klägerin jedenfalls subjektiv davon ausgehen durfte, der Beklagte sei an dem Projekt in der geschilderten Weise beteiligt. Das würde allerdings voraussetzen, daß die Klägerin diese Frage sorgfältig überprüft hatte und die erhaltenen Informationen eine entsprechende Schlußfolgerung rechtfertigten. Allein die Angaben der Kreditnehmer sowie die Tatsache, daß der Beklagte den Kredit bei der Rheinischen Hypothekenbank als Mitverpflichteter unterzeichnet hatte, reichen dafür nicht aus.
b) Der Bürgschaftsvertrag könnte allerdings trotz einer erheblichen Eigenbeteiligung des Beklagten als sittenwidrig zu beanstanden sein, wenn die Finanzierung des Bauprojekts schon aus damaliger Sicht bei Berücksichtigung aller der Klägerin bekannten Umstände äußerst risikoreich erschien. Die Klägerin behauptet, das Objekt nach den banküblichen Kriterien sorgfältig geprüft zu haben. Es sei danach unbedenklich realisierbar gewesen und nur infolge nachträglicher Änderungswünsche des Vaters, die erheblichen zusätzlichen Aufwand verursacht hätten, gescheitert. Der Beklagte ist dem mit eingehenden Ausführungen entgegengetreten und hat sich insbesondere darauf berufen, vor der Klägerin hätten mehrere Kreditinstitute die Übernahme der Finanzierung wegen grundlegender Bedenken abgelehnt. Hierzu fehlt es bisher an den erforderlichen tatrichterlichen Feststellungen. War die Realisierbarkeit des gesamten Projekts für einen sachkundigen Geldgeber ersichtlich mit sehr hohen Risiken verbunden, hätte sich für die Klägerin die Erkenntnis aufdrängen müssen, daß der Beklagte sich an dem Projekt nur aus geschäftlicher Unerfahrenheit beteiligt hatte.
2. Bei der danach zu treffenden Gesamtabwägung wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß der Beklagte die Umstände, die zur Nichtigkeit des Vertrages nach § 138 Abs. 1 BGB führen, zu beweisen hat, insoweit verbleibende Ungewißheiten also grundsätzlich zu seinen Lasten gehen.
3. Sollte das Berufungsgericht aufgrund der noch zu treffenden Feststellungen zu dem Ergebnis gelangen, die Klägerin habe das Risiko damals als vertretbar einstufen dürfen, und der Bürgschaftsvertrag sei wirksam, kann der Beklagte nach dem bisherigen Tatsachenvorbringen der Klägerin nicht entgegenhalten, sie hätte ihn über die Risiken der vorgesehenen Finanzierung aufklären müssen. Eine solche Verpflichtung obliegt dem Gläubiger gegenüber dem Bürgen grundsätzlich nicht. Insbesondere braucht er ihm nicht die eigene Einschätzung des Risikos zu offenbaren oder sich auch nur über den Wissensstand des Bürgen zu unterrichten (BGH, Urt. v. 22. Oktober 1987 – IX ZR 267/86, ZIP 1987, 1519, 1521; v. 17. Oktober 1985 – IX ZR 168/64, WM 1986, 11, 12). Die Klägerin durfte davon ausgehen, daß der Beklagte als Sohn der Kreditnehmer über die Art und Weise der Finanzierung, insbesondere das geringe Eigenkapital, Bescheid wußte. Der Beklagte hat nicht dargetan, daß die Klägerin insoweit einen ihr bewußten Informationsvorsprung besaß, der sie hätte veranlassen müssen, den Beklagten auf die gegebenen Risiken besonders hinzuweisen.
Unterschriften
Brandes, Kirchhof, Fischer, Zugehör, Ganter
Fundstellen
Haufe-Index 1497422 |
BGHZ |
BGHZ, 206 |
BB 1994, 810 |
NJW 1994, 1278 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1994, 520 |
DNotZ 1994, 530 |
JZ 1994, 905 |
ZBB 1994, 181 |