Rz. 34

Eine Änderung nicht fehlerhafter Ansätze nach Feststellung des Jahresabschlusses durch die zuständigen Organe, d. h. die Ersetzung gesetzlich zulässiger Ansätze durch andere ebenso zulässige Ansätze, z. B. anderweitige Ausübung von Ansatz- und Bewertungswahlrechten,[1] ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Die Möglichkeit der Änderung unterliegt dabei jedoch keinen zeitlichen Beschränkungen. Erscheint eine Änderung des betreffenden Ansatzes in der Zukunft als ausreichend, fehlt es an einem zwingenden Grund, um eine Ansatzänderung in einem früheren Jahresabschluss durchzuführen. Eine Änderung kann deshalb nur nach den Grundsätzen des im öffentlichen und privaten Recht anerkannten Rechtsinstituts des "Fortfalls der Geschäftsgrundlage" statthaft sein. Demnach ist eine Änderung nur möglich, falls

  • gewichtige rechtliche, wirtschaftliche oder steuerrechtliche Gründe vorliegen, die erst nach erfolgter Feststellung des Jahresabschlusses als sog. "werterhellende Erkenntnisse" bekannt werden können,
  • die Änderung nicht willkürlich ist und den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht widerspricht und das Interesse der durch die Bilanzierung betroffenen Dritten (Gesellschafter, Gläubiger) an der Beibehaltung des bisherigen Jahresabschlusses im Verhältnis zur angestrebten Änderung von untergeordneter Bedeutung ist;[2] ob sich daraus im Einzelfall eine Verpflichtung zur Bilanzänderung ergibt, ist eine abzuwägende Frage der zuständigen Organe.[3]
 

Rz. 35

Gewichtige Gründe sind solche, die aus der Sicht des Unternehmens für die Interessenwahrnehmung von erheblicher Bedeutung sind. Unerheblich ist, ob das Jahresergebnis von der Änderung betroffen ist. Gewichtige Gründe sind z. B.:

  • neue Erkenntnisse über eingetretene hohe Verluste nach Feststellung des Jahresabschlusses, die eine höhere Dotierung der Gewinnrücklagen unter Minderung der Ausschüttung sinnvoll erscheinen lassen;
  • steuerliche Gründe, wie z. B. nachträgliche Wahlrechtsausübung zur Kompensierung eines Mehrgewinns aufgrund einer steuerlichen Außenprüfung;
  • Ausnutzung von steuerlichen Verlustvor- oder -rückträgen;
  • nachträgliche steuerliche Wahlrechtsausübung;
  • die durch Gerichtsentscheidung angeordnete Bilanzänderung aufgrund einer stattgegebenen Klage eines Gesellschafters;
  • Einstellung oder Entnahmen von Beiträgen in bzw. aus Kapital- oder Gewinnrücklagen;
  • nach Feststellung des Jahresabschlusses ergeht in einem für die Gesellschaft bedeutsamen Prozess ein Urteil zuungunsten der Gesellschaft, sodass sich nunmehr die gebildete Rückstellung als erheblich zu niedrig erweist;
  • die Änderung der Beteiligung der Gesellschafter einer Personengesellschaft am Gesellschaftsvermögen.[4]

Abstrakte Regeln können aufgrund der Heterogenität der Fälle nicht formuliert werden. Es bedarf in jedem Fall einer Interessenabwägung zwischen dem Unternehmen und der Öffentlichkeit hinsichtlich der Bestandskraft des Jahresabschlusses.[5]

 

Rz. 36

Wenn gewichtige wirtschaftliche Gründe vorliegen, ist die Änderung eines Jahresabschlusses mit gesetzlich zulässigen Ansätzen durch andere ebenso zulässige Ansätze, z. B. auch nach der Hauptversammlung und sogar nach der Offenlegung des Jahresabschlusses, noch möglich. Damit wird einerseits das Interesse der Gesellschaft allen anderen Gesichtspunkten übergeordnet, andererseits dem einmal festgestellten Jahresabschluss ein gewisser Bestandsschutz eingeräumt, der nur aufgrund der Bedeutsamkeit der wirtschaftlichen Gründe hinter das Änderungsbedürfnis zurücktreten muss. Befindet sich der festgestellte Jahresabschluss noch in der Sphäre des Vorstands und des Aufsichtsrats, so entfällt gleichwohl das Erfordernis des wichtigen Grunds. Dies gilt solange bis die Einberufung der Hauptversammlung bekannt gemacht worden ist, da der Jahresabschluss von der Einberufung an in den Geschäftsräumen der AG zur Einsicht der Aktionäre auszulegen und auf Verlangen jedem Aktionär eine Abschrift zu erteilen ist.[6] Deshalb ist eine Änderung des Jahresabschlusses bis zur Bekanntmachung der Einberufung auch ohne gewichtigen Grund statthaft.[7]

 

Rz. 37

Dieser Sachverhaltszeitraum ist von großer praktischer Bedeutung, da die Hauptversammlung bereits unverzüglich nach Eingang des Berichts des Aufsichtsrats, der die Feststellungsbeschlüsse des Vorstands und des Aufsichtsrats enthält,[8] einzuberufen ist.[9] Solange der Jahresabschluss handelsrechtlich noch nicht festgestellt ist, kann dieser zwar noch geändert werden, ohne dass formell von einer Änderung des Jahresabschlusses gesprochen werden muss. Bei prüfungspflichtigen Kapitalgesellschaften kann bei einer Änderung nach Vorlage des Prüfungsberichts unter Umständen jedoch eine Nachtragsprüfung[10] erforderlich werden. Die Änderung kann ebenfalls der Offenlegungspflicht[11] unterliegen.[12]

 

Rz. 38

Sich an Jahresabschlussgrößen orientierende schuldrechtliche Ansprüche Dritter stehen einer Änderung zwar nicht entgegen, müssen aber im Rahmen einer sich daraus ergebenden Änderung des zur Verteilung verfügbaren Gewinns bedacht w...

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