Kommentar
1. Nach dem Grundsatz des formellen Bilanzzusammenhangs (das Schlußvermögen des Vorjahres bildet zugleich das Anfangsvermögen des Folgejahres, § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB ) ist ein fehlerhafter Bilanzansatz , wie z. B. eine zu hohe Rückstellung, der über mehrere Jahre fortgeführt worden ist, grundsätzlich rückwärts bis zur Fehlerquelle zu berichtigen .
2. Ist die Veranlagung des Vorjahres bereits bestandskräftig , ist die Berichtigung des fehlerhaften Bilanzansatzes in der Anfangsbilanz des Folgejahres nur zulässig, wenn die Veranlagung des Vorjahres, dessen Schlußbilanz bereits den fehlerhaften Bilanzansatz enthält, nach den Vorschriften der AO noch geändert werden kann.
3. Soweit dies nicht möglich ist, ist der unrichtige Bilanzansatz in der Schlußbilanz des ersten Jahres erfolgswirksam richtig zu stellen, dessen Veranlagung noch geändert werden kann .
4. Ob eine Änderung einer bestandskräftigen Veranlagung des Vorjahres insbesondere aufgrund des § 174 Abs. 4 AO wegen irriger Sachverhaltsbeurteilung noch möglich ist, ist unter mehreren Senaten des BFH umstritten und Gegenstand der Vorlage des I. Senats an den Großen Senat.
5. Während der IV. und der X. Senat des BFH eine irrige Sachverhaltsbeurteilung i. S. von § 174 Abs. 4 AO bereits deswegen bejahen, weil das Finanzamt die Möglichkeit einer Änderung der Bilanz des Vorjahres verkannt hat, verneint der I. Senat eine irrige Sachverhaltsbeurteilung, solange die bestandskräftige Veranlagung des Vorjahres nicht tatsächlich geändert worden ist und infolgedessen noch eine Bindungswirkung für die Anfangsbilanz des Folgejahres entfaltet.
Link zur Entscheidung
BFH, Vorlegungsbeschluss vom 16.02.1996, I R 150/94
Anmerkung:
Nach einer Betriebsprüfung werden unrichtige Bilanzansätze, wie z. B. zu hohe Pensionsrückstellungen, vom Finanzamt häufig in der letzten Schlußbilanz erfolgswirksam richtig gestellt. Eine solche Veranlagung ist jedoch durch die Gerichte als rechtsfehlerhaft aufzuheben, wenn das Finanzamt den Mehrgewinn fälschlicherweise in das spätere Jahr verlagert hat, obwohl eine Änderung bestandskräftiger Veranlagungen der Vorjahre nach § 174 Abs. 4 AO noch zulässig ist. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift bei der Rückwärtsberichtigung fehlerhafter Bilanzansätze ist allerdings unter mehreren Senaten des BFH umstritten. Der I. Senat verneint sie in seinem Vorlagebeschluß, weil anderenfalls eine Korrektur von Bilanzfehlern bis zur Fehlerquelle eröffnet wäre, wenn man von bestimmten Verjährungsfällen absieht. Die Streitfrage ist für den Berater wichtig, weil es von ihrer Entscheidung abhängt, in welchen Veranlagungszeitraum er einen Mehrgewinn infolge Fehlerberichtigung verlagern kann .
Bilanzänderung/-berichtigung