Leitsatz
Der Antrag auf Steuererlass nach § 34c Abs. 5 EStG i.V.m. den Regelungen des Auslandstätigkeitserlasses (BMF-Schreiben vom 31.10.1983, BStBl I 1983, 470) wird zeitlich durch die Festsetzungsverjährung und nicht bereits durch die Bestandskraft der Steuerfestsetzung begrenzt.
Normenkette
§ 34c Abs. 5 EStG
Sachverhalt
Der Kläger erzielte als Fluggerätemechaniker Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Arbeitgeber des Klägers war die A. Gemäß Abordnungsvertrag war der Kläger im Streitjahr auf dem Flughafen X in Nigeria eingesetzt und dort mit der Wartung und Störbehebung von Flugzeugen der Fluggesellschaft B befasst. Während der Arbeitgeber für die Veranlagungszeiträume vor dem Streitjahr die Regelungen des Auslandstätigkeitserlasses – ATE – (BMF-Schreiben vom 31.10.1983, BStBl I 1983, 470) bereits im Rahmen des Lohnsteuerabzugs berücksichtigte, unterwarf er den im Streitjahr erzielten Arbeitslohn der Lohnsteuer in Deutschland. In der von den Klägern für das Streitjahr eingereichten Einkommensteuererklärung erklärten sie den vom Kläger bezogenen Arbeitslohn als in Deutschland steuerpflichtig. In der Anlage N beantragten sie Kosten für Familienheimfahrten zwischen X und der Familienwohnung in Deutschland als Werbungskosten, welche vom FA antragsgemäß berücksichtigt wurden.
Mit Bescheid vom 19.10.2011 setzte das FA die Einkommensteuer fest. Der Bescheid stand nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und wurde bestandskräftig.
Mit beim FA am 16.1.2015 eingegangenem Schreiben beantragten die Kläger die Änderung des Einkommensteuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dahingehend, dass der ATE zur Anwendung komme. Nach Ablehnung dieses Antrags durch das FA beantragten die Kläger mit Schreiben vom 27.4.2015 die Anwendung des Erlasses nach § 34c Abs. 5 EStG im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung gemäß § 163 AO. Mit Verfügung vom 20.5.2015 lehnte das FA diesen Antrag ab, weil unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der allgemeinen Billigkeitsregelungen der AO eine zeitliche Begrenzung der Zulässigkeit eines Antrags nach § 34c Abs. 5 EStG i.V.m. dem ATE vorzunehmen sei.
Nach erfolglosem Einspruch wurde Klage erhoben, welcher das FG stattgab (Hessisches FG, Urteil vom 5.12.2017, 1 K 501/16, Haufe-Index 11638429, EFG 2018, 732).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Der BFH hat sich mit der Besprechungsentscheidung hinter die im Ausland berufstätigen Steuerpflichtigen gestellt, indem er den zeitlichen Anwendungsbereich für die Anwendung des Auslandstätigkeitserlasses (ATE) erweitert hat.
2. Streitentscheidende Norm war § 34c Abs. 5 EStG. Danach kann die auf ausländische Einkünfte entfallende deutsche Einkommensteuer ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn es aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist. Die Norm räumt insoweit den Finanzbehörden einen Ermessensspielraum ein. Die erforderliche "volkswirtschaftliche Zweckmäßigkeit" liegt nur dann vor, wenn die Steuerbegünstigung der deutschen Außenwirtschaft dient. Vor diesem Hintergrund dient der ATE, soweit er gestützt auf § 34c Abs. 5 EStG die Möglichkeit eines Erlasses von Einkommensteuer durch die Finanzverwaltung schafft, in erster Linie der Förderung der deutschen Exportwirtschaft.
3. Verfahrensrechtlich ist die im Ermessen des FA stehende Erlassentscheidung von diesem in einem eigenständigen Bescheid zu treffen, der gegenüber der Einkommensteuerfestsetzung als (bindender) Grundlagenbescheid anzusehen ist. Es handelt sich um eine gegenüber den allgemeinen Erlassregelungen in §§ 163 und 227 AO speziellere Regelung. Hier wie dort steht aber § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO als Korrekturtatbestand zur Verfügung.
4. Im ATE nicht geregelt ist die zeitliche Komponente, d.h. bis wann der Erlassantrag gestellt werden kann. Das FA vertrat hierzu im Anschluss an verschiedene Literaturstimmen die Auffassung, dass dies nur bis zum Eintritt der Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzung möglich sei.
Dem ist der BFH jetzt entgegengetreten. Auch er geht von einer zeitlichen Grenze aus, zieht diese aber mit dem Abstellen auf die Festsetzungsverjährung deutlich weiter. Damit konnte im Streitfall der Erlassantrag noch mehr als drei Jahre nach Eintritt der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids zulässigerweise gestellt werden. Da sämtliche Erlassvoraussetzungen gegeben waren, ging der BFH zudem von einer Ermessensreduzierung auf Null aus.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.6.2020 – I R 7/18