Leitsatz (amtlich)
1. Die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit (§ 361 AO) bewirkt, dass die Steuerforderung während der Dauer der Aussetzung nicht beglichen werden muss. Bei der Prüfung der Zahlungsfähigkeit ist diese Forderung daher nicht in Ansatz zu bringen.
2. Hat das Finanzamt eine Stundung zunächst abgelehnt, so führt eine spätere Bewilligung derselben mit Wirkung "ab Fälligkeit" nicht dazu, dass der Schuldner "rückwirkend" als zahlungsfähig anzusehen ist. Die Rechtswirkung dieser Anordnung erschöpft sich in der Funktion, die Zahlung von Stundungszinsen - anstelle von Verspätungszuschlägen - zu regeln.
Normenkette
InsO § 17 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Potsdam (Urteil vom 29.12.2010; Aktenzeichen 10 O 125/10) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 29.12.2010 verkündete Urteil des Einzelrichters des LG Potsdam - Az.: 10 O 125/10 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 290.243,08 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4.9.2006 sowie vorgerichtliche Kosten i.H.v. 1.986,95 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.4.2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger 58 % und die Beklagte 42 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert für die Berufungsinstanz: 685.792,72 EUR
Gründe
I. Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirtschaftsförderungsgesellschaft L ... mbH; die Beklagte war die "Hausbank" der Schuldnerin. Der Kläger begehrt im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr von Zahlungen, die die Schuldnerin zwischen 2001 bis zum 30.6.2006 auf Darlehensverbindlichkeiten bei der Beklagten geleistet hat.
Die Finanzverwaltung erließ am 13.6.1997 Körperschaftssteuerbescheide für 1993 und 1994 über 954.138,14 EUR und 327.030 EUR sowie weitere Säumniszuschläge. Hintergrund für die Steuerbescheide war der Umstand, dass die Finanzverwaltung die zunächst durch die Schuldnerin in Anspruch genommene Gemeinnützigkeit nicht mehr anerkennen wollte. Die Schuldnerin erhob gegen die Steuerbescheide am 26.6.1997 Sprungklage, die das FG am 11.4.2001 abwies. Auf Grund der mündlichen Verhandlung vor dem BFH vom 26.2.2003 wurde die Revision gegen dieses Urteil zurückgewiesen (Bl. 81 d.A.).
Im Hinblick auf die Vollziehung der Steuerbescheide bat die Schuldnerin mit Schreiben vom 26.6.1997, diese auszusetzen (Bl. 60 d.A.). Eine Lastschrift der Finanzverwaltung vom 21.7.1997 wurde durch die Beklagte mangels Deckung nicht eingelöst. Auch eine an die Beklagte als Drittschuldnerin gerichtete Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 4.9.1997 (Bl. 92 d.A.) führte nicht zur Erfüllung der Steuerschuld. Mit Bescheid vom 8.9.1997 setzte das Finanzamt die Vollziehung der Steuerbescheide aus (Bl. 94 d.A.). Eine weitere Aussetzung der Vollziehung wurde der Schuldnerin auf Grund ihres Antrags vom 21 Mai. 2001 (Bl. 78 d.A.) gewährt. Mit Schreiben vom 21.8.2003 teilte das Finanzamt das Ende der Vollziehungsaussetzung mit Datum vom 12.7.2003 mit. Mit Bescheid vom 28.10.2003 (Bl. 111 d.A.) bewilligte das Finanzamt eine Stundung nur unter Bedingungen. Am 11.10.2004 lehnt das Finanzamt eine weitere Stundung ab (Bl. 123 d.A.). Nachdem das Finanzamt am 16.1.2006 eine weitere Stundung unter Auflagen bis zum 30.6.2006 mit Wirkung ab Fälligkeit gewährt hatte (Bl. 291 d.A.), stellte die Schuldnerin schließlich am 29.6.2006 einen Insolvenzantrag.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Schuldnerin sei seit dem Erlass der Steuerbescheide im Jahre 1997 zahlungsunfähig gewesen; zumindest habe diese stetig gedroht. Durch die vorübergehende Aussetzung der Vollziehung der Steuerbescheide habe sich hieran nichts geändert. Der Schuldnerin sei anlässlich der gegenüber der Beklagten geleisteten Zahlungen klar gewesen, dass in diesem Umfang Drittgläubiger, insbesondere das Finanzamt, nicht würden befriedigt werden können. Von der Absicht der Schuldnerin, die Gläubiger zu benachteiligen, habe die Beklagte schon seit 1997 Kenntnis gehabt. Gegenstand der Klage sind die Zahlungen, die die Schuldnerin zwischen 2001 und dem 30.6.2006 auf die Verbindlichkeiten bei der Beklagten geleistet hat; zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Aufstellung des Klägers in der Anlage zum Schriftsatz vom 22.7.2010 (Bl. 317 f. d.A.) Bezug.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilten, an ihn 685.792,72 EUR nebst Zin...