Leitsatz (amtlich)
Ein Rechtsanwalt muß zur Erfüllung seiner Sorgfaltspflicht in der Fristenkontrolle nicht nur sicherstellen, daß die zur Fristwahrung benötigten Akten rechtzeitig zur Bearbeitung vorgelegt werden; er muß auch Vorkehrungen treffen, daß die Fertigstellung des fristwahrenden Schriftsatzes und dessen Absendung an das Gericht überwacht werden.
Normenkette
SGG § 67 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist für die Revisionsbegründung wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Klägerin hat gegen das ihr am 3. Mai 1964 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen (LSG) vom 15. April 1964 am 22. Mai 1964 Revision eingelegt. Die Frist zur Begründung der Revision ist durch den Vorsitzenden des erkennenden Senats bis zum 3. August 1964 verlängert worden (§ 164 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Nachdem bis zum Ablauf der verlängerten Frist eine Begründungsschrift nicht eingegangen war, hat der Senat die Revision durch Beschluß vom 7. August 1964 als unzulässig verworfen (§ 169 SGG). Dieser Beschluß ist der Klägerin zu Händen ihrer Prozeßbevollmächtigten am 25. August 1964 zugestellt worden.
In der Zwischenzeit - am 20. August 1964 - war eine von Rechtsanwalt Dr. Sch unterzeichnete Revisionsbegründung beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen; der Schriftsatz trägt das Datum vom 21. Juli 1964.
Am 29. August 1964 hat die Klägerin beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren. Zur Rechtfertigung ihres Begehrens trägt sie vor: Rechtsanwalt Dr. V habe die Revisionsbegründung seiner Sekretärin B ins Stenogramm diktiert. Diese habe sie am 21. Juli 1964 in Maschinenschrift geschrieben. Der Schriftsatz sei jedoch nicht alsbald zur Unterschrift vorgelegt worden. Rechtsanwalt Dr. V habe bereits seinen Jahresurlaub angetreten gehabt (11. August bis 15. September 1964), als Rechtsanwalt Dr. Sch den Schriftsatz unterzeichnet habe. Es sei unverständlich, wie es trotz Vormerkung im Notfristenkalender zu der Fristversäumnis habe kommen können.
Zur weiteren Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Klägerin eine eidesstattliche Versicherung der Sekretärin B vorgelegt. Diese hat u. a. erklärt: Sie habe die Begründungsschrift am 21. Juli 1964 aus dem Stenogramm angefertigt und der Registratur zur Vorlage bei Dr. V übergeben. Sie habe annehmen müssen, daß der Schriftsatz sofort überprüft und unterschrieben werde. Das sei aber nicht geschehen; die Sendung sei erst am 19. August 1964 zur Post gegangen. Wie das Versehen entstanden sei, könne sie - die Sekretärin - sich nicht erklären.
Dieses Vorbringen rechtfertigt die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht. Die Klägerin hat nicht substantiiert dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht (§ 67 Abs. 2 Satz 2 SGG), daß ihre Prozeßbevollmächtigten die Sorgfalt beachtet hätten, die von einem gewissenhaften Prozeßführenden erwartet werden muß. Rechtsanwalt Dr. V hätte, wenn er schon nicht nach dem Verbleib der noch anzufertigenden und von ihm zu unterzeichnenden Maschinenschrift geforscht hat, dafür Sorge tragen müssen, daß die Sekretärin B ihm den Schriftsatz sofort oder jedenfalls rechtzeitig vor dem 3. August 1964 vorgelegt hätte. Ein allgemeiner Auftrag, aus dem Stenogramm angefertigte Schriftsätze alsbald zur Unterschrift vorzulegen, hätte, da es um eine Fristsache ging, hierzu nicht ausgereicht. Die Klägerin hat weder dargelegt, welche Anweisungen der Sekretärin im allgemeinen für die Erledigung von Rechtsmittelschriften und sonstigen Fristsachen erteilt worden waren, noch was ihr speziell in bezug auf die Revisionsbegründungsschrift in dem vorliegenden Rechtsstreit aufgetragen worden war. Es genügt auch nicht, daß ein Prozeßbevollmächtigter einen "Fristenkalender" führen und sich danach die zur Fristwahrung benötigten Akten vorlegen läßt. Es muß sichergestellt werden, daß über die Aktenvorlage hinaus die Fertigstellung und die Absendung fristwahrender Schriftsätze durch denjenigen, der den Fristenkalender führt, überwacht und er wiederum in dieser Tätigkeit - von Zeit zu Zeit - kontrolliert wird. Daß in dieser Hinsicht das Erforderliche und den Prozeßbevollmächtigten Zumutbare geschehen wäre, hat die Klägerin nicht dargetan. Eher spricht für das Fehlen einer solchen Vorsorge im Büro der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin die Tatsache, daß die mit dem Datum vom 21. Juli 1964 versehene Begründungsschrift am 19. August 1964 unterschrieben und abgesandt wurde, ohne daß offenbar schon damals - der Wiedereinsetzungsantrag ist erst nach der am 25. August 1964 erfolgten Zustellung des Verwerfungsbeschlusses vom 7. August 1964 gestellt worden - die Fristversäumung erkannt worden ist. Hiernach ist die Frist zur Begründung der Revision nicht ohne Verschulden versäumt worden. Das Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten muß die Klägerin sich anrechnen lassen (BSG 11, 158).
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher unbegründet und muß zurückgewiesen werden.
Fundstellen