Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer
Leitsatz (redaktionell)
1. Daß die gutachtliche Nebentätigkeit eines Arztes über Vaterschaftsfeststellungen einer den Katalog-Berufen i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ähnlichen praktischen Berufstätigkeit zugeordnet wird und dementsprechend die Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 4 EStG a. F. durch den BFH versagt wird, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Bedeutung und Tragweite des aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Grundsatzes des Vertrauensschutzes wird vom BFH nicht verkannt, wenn er davon ausgeht, daß eine Bindungswirkung nach Treu und Glauben für das Finanzamt nicht allein aufgrund langjähriger abweichender Veranlagung entsteht, sondern die Steuer nach dem strikten Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit festzusetzen ist und entsprechend dem verfassungsrechtlich unbedenklichen Abschnittsprinzip jeweils nur für einen einzelnen Besteuerungsfall und einen bestimmten Besteuerungszeitraum festgesetzt wird.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3 S. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 4
Verfahrensgang
Gründe
Der Bundesfinanzhof hat in Auslegung und Anwendung einfachen Rechts und in Übereinstimmung mit seiner ständigen Rechtsprechung (BFH, BStBl. II 1977 S. 31 ≪32≫; BStBl. II 1985 S. 293 ≪294≫; BStBl. II 1986 S. 843 ≪844≫) in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise (Nichtannahme-Beschluß vom 3. Januar 1973 – 1 BvR 508/72 –; StRK, EStG, § 34 Abs. 4 ≪ab 1955≫ R. 43) die gutachtliche Nebentätigkeit (Vaterschaftsfeststellungen) des Beschwerdeführers zu 1) einer den Katalog-Berufen im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ähnlichen praktischen Berufstätigkeit zugeordnet und dementsprechend die nur für Nebeneinkünfte aus u.a. wissenschaftlicher Tätigkeit zu gewährende Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 4 EStG a.F. versagt.
Die vom Beschwerdeführer behauptete sachwidrige ungleiche Auslegung des Begriffs „wissenschaftliche Tätigkeit” in § 18 Abs. 1 Nr.1 Satz 2 EStG einerseits und § 34 Abs. 4 Satz 1 EStG a.F. andererseits läßt sich dem angegriffenen Urteil nicht entnehmen. Soweit der Bundesfinanzhof bereits die Zuordnung der Gutachtertätigkeit zur ärztlichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG für möglich erachtet, ist diese Wertung erkennbar nicht entscheidungserheblich. Zu Unrecht sieht die Verfassungsbeschwerde den Anwendungsbereich der Steuerbegünstigung bei wissenschaftlichen Nebentätigkeiten durch die Auslegung in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs „gegen null” verengt (vgl. BVerfG, Nichtannahme-Beschluß vom 3. Januar 1973 – 1 BvR 508/72 –, a.a.O.)
Die Entscheidung läßt auch im übrigen keine Anhaltspunkte dafür erkennen, daß ihr sachfremde, völlig unvertretbare Erwägungen zugrunde lägen, wenn der Bundesfinanzhof eine laufende, umfangreiche Gutachtertätigkeit als eine den Katalog-Berufen ähnliche praktische Berufstätigkeit bewertet.
Ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) und auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ist ebenfalls nicht ersichtlich. Durch Anwendung des normalen Steuertarifs auf die Einkünfte aus der Gutachtertätigkeit wird der Beschwerdeführer weder unmittelbar noch mittelbar an der Ausübung dieser Nebentätigkeit gehindert
(vgl. BVerfG, Nichtannahme-Beschluß vom 14. Juni 1983 – 1 BvR 9/83 –; Inf 1984, S. 239 und BVerfGE 47, 1≪21≫). Eine „erdrosselnde” Wirkung kann selbst bei Anwendung des Spitzensteuersatzes auf die Nebeneinkünfte nicht angenommen werden. Soweit der Beschwerdeführer erhebliche eigene finanzielle Mittel eingebracht hat, kann er diese Aufwendungen entsprechend dem objektiven Nettoprinzip durch Abzug als Betriebsausgaben steuermindernd geltend machen.
Verfassungsrechtlich unbedenklich ist es ferner, wenn der Bundesfinanzhof auf der Grundlage der Feststellungen des Finanzgerichts eine Bindungswirkung des Finanzamts nach Treu und Glauben allein auf Grund langjähriger abweichender Veranlagung und der lediglich die Veranlagungszeiträume 1963 bis 1966 betreffenden Besprechung beim Finanzamt für die in vollem Umfang gemäß § 100 Abs. 2 RAO vorläufige Steuerfestsetzung der Streitjahre 1971 und 1972 verneint hat. Damit hat der Bundesfinanzhof Bedeutung und Tragweite des aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3.GG) abzuleitenden Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht verkannt. Die Steuer ist nach dem strikten Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit (vgl. § 3 AO) festzusetzen. Entsprechend dem verfassungsrechtlich unbedenklichen Abschnittsprinzip (§ 2 Abs. 7, § 25 Abs. 1 EStG; BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 8. März 1977 – 1 BvR 1001/76 –; StRK, GG, Art. 3 R. 586) wird jeweils nur für einen einzelnen Besteuerungsfall und einen bestimmten Besteuerungszeitraum die Steuer festgesetzt. Die vorläufige Veranlagung enthält den ausdrücklichen Vorbehalt der späteren Überprüfung und einer eventuellen Abweichung, und zwar auch von der rechtlichen Beurteilung in früheren Besteuerungszeiträumen.
Auf einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen der Bezugnahme des Bundesfinanzhofs auf ein in einem anderen Verfahren verwertetes Sachverständigen-Gutachten bzw. tatsächliche Erhebungen des Bundesgesundheitsamtes kann das angegriffene Urteil nicht beruhen, weil es sich insoweit ersichtlich um hilfsweise, die Entscheidung nicht tragende Erwägungen handelt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 34 Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen