Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 1979
Leitsatz (redaktionell)
1. Zu einer etwaigen Grundrechtsverletzung durch die Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für den Unterhalt von Angehörigen auf 300 DM monatlich in den Veranlagungszeiträumen 1983, 1984.
2. Der Gesetzgeber darf für die steuerliche Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsverpflichtungen keine realitätsfremden Grenzen ziehen. Greift er jedoch als Maßstab für die Realitätsgerechtigkeit auf den Grundfreibetrag und die Sozialhilferegelsätze zurück, so ist die Heranziehung dieses Vergleichsmaßstabs verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Unterhaltsaufwendungen mindestens in Höhe des Existenzminimums von der Besteuerung ausgenommen werden.
3. Vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 19. 12. 1996 – 1 BvR 250/86 und vom 30. 01. 1997 – 1 BvR 746/86.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; EStG § 33a Abs. 1 S. 1; BVerfGG § 93a Abs. 2 Buchst. a, b
Verfahrensgang
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft – mittelbar – die Verfassungsmäßigkeit des § 33 a Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Art. 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes 1979 vom 30. November 1978 (BGBl I S. 1849) – EStG 1979.
1. Die Beschwerdeführer sind miteinander verheiratet und wurden in den Veranlagungszeiträumen 1983 und 1984 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihren Einkommensteuererklärungen hatten sie geltend gemacht, die einkommens- und vermögenslose Mutter der Beschwerdeführerin mit Unterhaltsleistungen (u. a. Kost und Logis sowie Barzuwendungen) in Höhe von insgesamt rund 14.500 DM (1983) beziehungsweise 23.000 DM (1984) unterstützt zu haben. Anerkannt wurden die Aufwendungen vom Finanzamt jedoch jeweils nur mit dem in § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 1979 festgelegten Abzugshöchstbetrag von 3.600 DM. Das zu versteuernde Einkommen der Beschwerdeführer belief sich auf 378.281 DM für 1983 und auf 289.160 DM für 1984, die festzusetzende Einkommensteuer auf 182.126 DM beziehungsweise 131.980 DM. Klage und Revision blieben ohne Erfolg.
2. Mit ihrer fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde machen die Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG geltend. In Anknüpfung an zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 66, 214 und 67, 290) tragen sie u. a. vor: Der Höchstbetrag von 3.600 DM sei realitätsfremd. Die Abweichung von den vom Bundesverfassungsgericht genannten Vergleichsgrößen, dem sozialhilferechtlichen Regelbedarf und dem Grundfreibetrag, seinerzeit jeweils rund 4.200 DM, sei so erheblich, daß sie nicht mehr hingenommen werden könne. Hinzu komme, daß die Regelsätze der Sozialhilfe das Existenzminimum ohnehin nicht abdeckten.
Für die Bundesregierung hat der Bundesminister der Finanzen mit Schreiben vom 30. November 1995 und 13. März 1996 in einem Parallelverfahren Stellung genommen: Bei der Ermittlung des Wohnbedarfs im Rahmen des Existenzminimums sei entsprechend dem „Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien vom Jahr 1996” der Bundesregierung vom 2. Februar 1995 (BTDrucks 13/381) von den aus den Wohngeldstatistiken entnommenen Werten (für die Empfänger des sog. Tabellenwohngelds) auszugehen. In die sozialhilferechtlichen Durchschnittswerte, wie sie in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juni 1994 (BVerfGE 91, 93) zugrunde gelegt worden seien, seien auch Leistungen eingeflossen, die der Deckung unangemessen hohen Sonderbedarfs in Einzelfällen dienten (vgl. dazu auch BTDrucks 13/381, S. 3) und damit nicht Maßstab für die allgemein erforderliche Versorgung Bedürftiger mit angemessenem Wohnraum sein könnten. Diese Werte seien überdies nach der sogenannten Pro-Kopf-Methode berechnet, so daß sie das Ziel verfehlten, über eine Addition der individuellen Existenzminima zu den „richtigen” Existenzminima für die verschiedenen Familien- und Haushaltstypen zu gelangen. Seinen Stellungnahmen hat der Bundesminister der Finanzen Aufstellungen über die sich nach beiden Berechnungsmethoden ergebenden Vergleichswerte beigefügt. Der Bundesfinanzhof hat in seiner Stellungnahme auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur steuerlichen Freistellung von Unterhaltsleistungen hingewiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde erfüllt nicht die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 2. August 1993 (BGBl I S. 1442) – ÄndG –, die gemäß Art. 8 ÄndG auch für dieses Verfahren gelten.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). An einer grundsätzlichen Bedeutung fehlt es zum einen angesichts der zwischenzeitlichen Änderungen der Sach- und Rechtslage. Die hier inmitten stehende Fassung des § 33 a Abs. 1 EStG gilt bereits seit dem Veranlagungszeitraum 1986 nicht mehr; die Vorschrift wurde in der Folgezeit noch mehrere Male geändert. Den Materialien zum Jahressteuergesetz 1996, durch das sie neuerlich geändert worden ist, läßt sich entnehmen, daß der Gesetzgeber sich bei der Bemessung des Abzugshöchstbetrags am Existenzminimum orientiert hat (vgl. die Begründung des Finanzausschusses des Bundestags für die Anhebung des Abzugshöchstbetrags auf nunmehr 12.000 DM ≪BTDrucks 13/1558, S. 149≫). Zum anderen sind die verfassungsrechtlichen Fragen, die die Verfassungsbeschwerde aufwirft, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahre 1984 (BVerfGE 66, 214) – in bezug auf die für die Veranlagungszeiträume 1971 bis 1973 gültig gewesene Höchstbetragsregelung des § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG – entschieden, daß der Gesetzgeber für die steuerliche Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsverpflichtungen (auch jene Entscheidung betraf Unterhaltsleistungen an eine Mutter) nicht realitätsfremde Grenzen ziehen dürfe. Als Maßstab für die Realitätsgerechtigkeit hat es auf den Grundfreibetrag und die Sozialhilferegelsätze zurückgegriffen. In Anknüpfung an diese Rechtsprechung hat es in späteren Entscheidungen (BVerfGE 82, 60; 87, 153; 91, 93) den existenznotwendigen Mindestbedarf (Existenzminimum), wie ihn der Gesetzgeber durch die Gewährung von Sozialhilfeleistungen (Regelsätze zuzüglich sogenannter Einmalbeihilfe sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung) zugrunde lege, als Vergleichsmaßstab herangezogen und ausgeführt, daß das Gebot, Unterhaltsaufwendungen mindestens in Höhe des Existenzminimums von der Besteuerung auszunehmen, im Ergebnis dem Grundsatz entspreche, daß der Gesetzgeber bei der Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsleistungen nicht realitätsfremde Grenzen ziehen dürfe (vgl. BVerfGE 82, 60 ≪88≫).
Weitere verfassungsrechtliche Fragen, die bislang nicht Gegenstand verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung waren, wirft die Verfassungsbeschwerde nicht auf. Insbesondere gibt sie keinen Anlaß zu entscheiden, ob und inwieweit das Gebot, zwangsläufige Unterhaltsaufwendungen mindestens in Höhe des Existenzminimums steuerlich freizustellen, dann nicht gilt, wenn die Bedürftigkeit etwa eine Folge von Vermögensübertragungen vom Unterhaltenen auf den Unterhaltenden ist. Allerdings sind durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die hierzu im Schrifttum vertretene Auffassung (vgl. Kanzler, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, Stand: 183. Lfg., 1996, § 33 a Rn. 105) nicht ersichtlich.
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Annahme würde insoweit voraussetzen, daß die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführer in existentieller Weise betrifft (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫). Beides ist hier nicht der Fall.
a) Ohne daß es darauf ankäme, nach welcher Methode der für das Existenzminimum maßgebliche Wohnbedarfswert ermittelt wird und ob – im Hinblick auf etwaige Besonderheiten der gewählten Berechnungsmethode – bestimmte Unterschreitungen der Vergleichsgrößen verfassungsrechtlich unbedenklich sind (vgl. dazu BVerfGE 91, 93 ≪113 ff.≫), erweist sich der Abzugshöchstbetrag von 3.600 DM für die Jahre 1983 und 1984 bei Zugrundelegung der oben dargelegten Maßstäbe als zu gering: Die zuletzt vom Bundesverfassungsgericht (in BVerfGE 91, 93 ≪104≫) herangezogenen Vergleichsgrößen „Richtwerte”) belaufen sich schon für im Haushalt lebende minderjährige Kinder auf 4.752 DM (1983) beziehungsweise 4.920 DM (1984). Bereits diese Beträge unterschreitet der Abzugshöchstbetrag von 3.600 DM um gut 24 vom Hundert beziehungsweise 27 vom Hundert und damit in einem Maße, das von Verfassungs wegen nicht mehr hingenommen werden kann (vgl. BVerfG a.a.O., S. 115: maximal 15 vom Hundert). Der naturgemäß höhere Mindestbedarf Erwachsener, die – wie die Mutter der Beschwerdeführerin – außerhalb des Haushalts des Steuerpflichtigen leben, beträgt nach den den Stellungnahmen des Bundesministers der Finanzen beigefügten Aufstellungen sogar 8.585 DM beziehungsweise 8.838 DM, wenn man für den Wohnbedarf auf die sozialhilferechtlichen Durchschnittswerte (wie in BVerfGE 91, 93 ≪”Richtwerte”≫) abstellt, und immerhin noch 7.019 DM beziehungsweise 7.250 DM, wenn man den Wohnbedarf nach Maßgabe der Berechnungsmethode im „Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien vom Jahr 1996” (BTDrucks 13/381) ermittelt. Angesichts dessen, daß der Abzugshöchstbetrag von 3.600 DM alle diese Werte um rund 50 vom Hundert und mehr unterschreitet, kommt es auf die Frage, ob auch bei der neuen Berechnungsmethode noch eine Unterschreitung der Vergleichsgrößen zugelassen werden kann, nicht an. Allerdings sei darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung selbst davon ausgeht, daß diese Werte nicht mehr unterschritten werden dürfen (vgl. BTDrucks 13/381, S. 4 a. E.).
b) Es ist jedoch nicht ersichtlich, daß der zu geringen Bemessung des Abzugshöchstbetrags für die Jahre 1983 und 1984 eine besonders gewichtige Grundrechtsverletzung – etwa eine generelle Vernachlässigung oder grobe Verkennung von Grundrechten (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫) – zugrunde läge. Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, daß der konkrete Maßstab, an dem die verfassungsrechtlich erforderliche Steuerfreistellung zu messen ist (Summe aus Regelsatz und Einmalbeihilfe der Sozialhilfe zuzüglich Wohn- und Heizungsbedarf), erst in späteren Jahren und sukzessive von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelt wurde; selbst das Bundesverfassungsgericht ist noch im November 1986 zu dem Ergebnis gelangt, daß der Höchstbetrag des § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 1979 jedenfalls für den Veranlagungszeitraum 1980 von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden sei (Nichtannahmebeschluß vom 21. November 1986, DStZ 1988, S. 488).
Auch eine existentielle Betroffenheit (vgl. dazu BVerfGE 90, 22 ≪25≫) der Beschwerdeführer scheidet aus. Ihnen entsteht durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung kein besonders schwerer Nachteil. Wäre in § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 1979 ein Höchstbetrag festgelegt gewesen, der noch den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Freistellung des Existenzminimums für Unterhaltsleistungen in BVerfGE 91, 93 (o.g. „Richtwerte” abzüglich 15 vom Hundert) entsprochen hätte, so hätte dies zwar eine Reduzierung des zu versteuernden Einkommens bewirkt. Angesichts des Jahreseinkommens der Beschwerdeführer nimmt sich die zu erwartende Verminderung der Steuerschuld jedoch vergleichsweise gering aus. Es ist daher nicht ersichtlich, daß sie die Versagung einer Entscheidung zur Sache besonders schwer trifft.
3. Da die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis nur aus den unter 2. genannten Gründen ohne Erfolg bleibt, ist es billig, die Erstattung der den Beschwerdeführern erwachsenen notwendigen Auslagen anzuordnen (§ 34 a Abs. 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen