Verfahrensgang
AG Bochum (Beschluss vom 24.01.2008; Aktenzeichen 38 C 449/07) |
AG Bochum (Urteil vom 17.01.2008; Aktenzeichen 38 C 449/07) |
Tenor
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 24. Januar 2008 – 38 C 449/07 – und das Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 17. Januar 2008 – 38 C 449/07 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes.
2. Der Beschluss und das Urteil werden aufgehoben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bochum zurückverwiesen.
3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Zahlungsverurteilung im Verfahren nach § 495a ZPO. Gerügt wird die Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG.
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde von dem Kläger des Ausgangsverfahrens mit Mahnbescheid auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 328 € nebst Zinsen und Kosten der Rechtsverfolgung in Anspruch genommen. Nach dem Widerspruch des Beschwerdeführers wurde der Rechtsstreit zur Durchführung des streitigen Verfahrens an das Amtsgericht abgegeben. Zur Begründung seiner Klage trug der Kläger vor, er habe mit dem Beschwerdeführer eine Urlaubsreise unternommen und den gesamten Reisepreis für alle Teilnehmer bezahlt. Er habe mit dem Beschwerdeführer vereinbart, dass dieser seinen Anteil an den Reisekosten sofort nach Beendigung des Urlaubs zahle. Auf mehrfache Nachfrage des Klägers habe der Beschwerdeführer 50 € bezahlt, sei jedoch zur Zahlung der Gesamtforderung nicht in der Lage gewesen. Nach mehreren Abmahnungen habe der Beschwerdeführer weitere Teilbeträge in Höhe von jeweils 30 € oder 50 € gezahlt, so dass noch eine Restforderung in Höhe von 328 € zuzüglich Zinsen und Kosten der Rechtsverfolgung ausstehen würde. Quittungsbelege, Kontoauszüge und weiteres Beweismaterial könnten bei Bedarf in der Hauptverhandlung vorgelegt werden. Daraufhin ordnete das Amtsgericht mit Verfügung vom 18. Dezember 2007 das schriftliche Vorverfahren nach § 276 ZPO an. Am 3. Januar 2008 erschien der Beschwerdeführer persönlich beim Amtsgericht und gab zu Protokoll, dass er sich gegen die Klage verteidigen werde. Mit Schreiben vom 16. Januar 2008 zeigte der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers seine Prozessbevollmächtigung an und beantragte, die Klage abzuweisen und dem Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe zu gewähren. Zur Begründung führte er aus, die Klage sei nicht schlüssig. Dass dem Kläger eine Restforderung in Höhe von 328 € zuzüglich Zinsen zustehe, werde bestritten. Der Beschwerdeführer habe regelmäßig Raten gezahlt. Hierzu werde Beweis durch Vorlage der Einzahlungsbelege und Quittungen im Termin zur mündlichen Verhandlung erbracht.
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 17. Januar 2008 – 38 C 449/07 – im schriftlichen Verfahren zur Zahlung von 328 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 28. Februar 2007, höchstens jedoch 1 % Zins monatlich. Im Übrigen wurden die Klage und der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgewiesen. Die Entscheidung erging gemäß § 313a Abs. 1 ZPO ohne Tatbestand.
Mit Schreiben vom 21. Januar 2008 erhob der Beschwerdeführer Anhörungsrüge gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 17. Januar 2008 und rügte gemäß § 321a Abs. 1 ZPO die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das Amtsgericht habe den Wechsel zum schriftlichen Verfahren nach billigem Ermessen gemäß § 495a ZPO weder angeordnet noch vor Erlass des Urteils angekündigt, so dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Dies sei auch entscheidungserheblich. Bei Erlass einer Verfügung, dass das schriftliche Verfahren ohne mündliche Verhandlung durchgeführt werde, hätte der Beschwerdeführer ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 495a Satz 2 ZPO beantragt und durch die Vorlage von Quittungen und Belegen nachgewiesen, dass sich die Forderung des Klägers nur noch auf 188 € belaufe.
Das Amtsgericht wies die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers mit Beschluss vom 24. Januar 2008 – 38 C 449/07 – zurück. Der zulässige Antrag sei unbegründet, da eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht vorliege. Es könne dahinstehen, ob ein Verfahrensfehler vorliege, weil im Verfahren nach § 276 ZPO eine Entscheidung nach § 495a ZPO ergangen sei. Bei dieser sei nämlich das Beklagtenvorbringen vom 16. Januar 2008 mit berücksichtigt worden. Dieses habe vollständig zu sein, da alle Verteidigungsmittel so rechtzeitig vorzutragen seien, wie dies einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspreche (§ 282 Abs. 1 ZPO).
2. Mit der Verfassungsbeschwerde wird eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG gerügt. Der Beschwerdeführer trägt vor, ihm sei das rechtliche Gehör abgeschnitten worden, da ohne vorherige Ankündigung im schriftlichen Verfahren entschieden worden sei, so dass er keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 495 Satz 2 ZPO habe stellen und entscheidungserhebliche Beweismittel dem Gericht nicht habe vorlegen können.
3. Es haben zu der Verfassungsbeschwerde weder das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen noch der Kläger des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet. Das Urteil und der Beschluss des Amtsgerichts verletzen Art. 103 Abs. 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat die für diese Feststellung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden.
1. Die erst mit dem Urteilserlass erfolgte Mitteilung, dass im schriftlichen Verfahren entschieden worden sei, verletzt das grundrechtsgleiche Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Zwar begründet Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (vgl. BVerfGE 36, 85 ≪87≫; 60, 175 ≪210 f.≫; 89, 381 ≪391≫). Art. 103 Abs. 1 GG stellt jedoch sicher, dass sich jeder Verfahrensbeteiligte vor dem Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu dem ihr zugrunde liegenden Sachverhalt äußern und Anträge stellen kann (vgl. BVerfGE 67, 39 ≪41≫; 69, 145 ≪148≫; 89, 381 ≪392≫; 101, 106 ≪129≫).
2. Gegen diese Grundsätze hat das Amtsgericht durch eine fehlerhafte Anwendung des § 495a ZPO verstoßen. Es hat dem Beschwerdeführer die Möglichkeit, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 495a Satz 2 ZPO zu beantragen, dadurch genommen, dass es eine Mitteilung über die Durchführung des schriftlichen Verfahrens vor Erlass des Urteils unterließ. Zwar schreibt § 495a ZPO eine Anordnung des vereinfachten, das heißt schriftlichen Verfahrens nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht leitet jedoch aus Art. 103 Abs. 1 GG eine dahingehende Pflicht des Gerichts ab, da den Parteien sonst die Möglichkeit genommen wird, einen Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß § 495a Satz 2 ZPO zu stellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. August 1993 – 1 BvR 279/93 –, NJW-RR 1994, 254 ≪255≫). Dieses Antragsrecht darf durch das Gericht nicht eingeschränkt werden. Entscheidet sich das Gericht für ein schriftliches Verfahren, muss es den Parteien seine Absicht und den Zeitpunkt mitteilen, bis zu dem die Parteien ihr Vorbringen in den Prozess einführen können. Gegen diesen Grundsatz hat das Amtsgericht bei seiner Entscheidung verstoßen und dadurch das grundrechtsgleiche Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
3. Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf dieser Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht anders entschieden hätte, wenn es dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben hätte, einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen. Der Beschwerdeführer hat dargelegt, dass er in der mündlichen Verhandlung den Beweis angetreten hätte, dass die eingeklagte Forderung zu einem erheblichen Teil bereits getilgt worden und die Klage insoweit unbegründet sei.
4. Die Ausführungen des Amtsgerichts in seinem Beschluss über die Anhörungsrüge, wonach es dahin stehen könne, ob ein Verfahrensfehler vorliege, können nicht mehr als lediglich rechtsirrtümliche Behandlung des § 495a ZPO angesehen werden, sondern lassen auf eine grundsätzliche Verkennung des grundrechtsgleichen Rechts des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs schließen.
Aus diesen Gründen werden die angegriffenen Entscheidungen nach § 95 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen
III.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
IV.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Voßkuhle, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 2082280 |
NJW-RR 2009, 562 |