Entscheidungsstichwort (Thema)
Vermögensteuer: „kollektive” und „private” Altersversorgung
Leitsatz (redaktionell)
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber bei der Festlegung des sonstigen Vermögens i. S. der §§ 110, 111 BewG zwischen einer „privaten” Altersversorgung (Ansammlung von Vermögenswerten, deren Stamm und Erträge zur Bestreitung der Altersbedürfnisse dienen sollen) und einer „kollektiven” Altersversorgung (Erwerb von Versorgungsansprüchen aus der Sozialversicherung, aus betrieblicher Altersversorgung, von gesetzlichen Versorgungsbezügen und sonstigen Renten, soweit sie unter vergleichbaren Bedingungen wie bei Sozialversicherungsrenten und Beamtenpensionen gewährt werden) unterscheidet und die private Altersversorgung im Gegensatz zur kollektiven, auch in Form von Renten, grundsätzlich zum sonstigen Vermögen rechnet und entsprechend als Bemessungsgrundlage für die Vermögensteuer heranzieht.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; BewG § 110 Abs. 1 Nr. 4, § 111 Nr. 9; VStG 1974 § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 3-4
Verfahrensgang
BFH (Beschluss vom 30.03.1988; Aktenzeichen II R 196/83) |
FG Münster (Urteil vom 21.10.1982; Aktenzeichen III 1632/79 V) |
Tatbestand
I.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens übertrug seinen beiden Söhnen durch notariellen Vertrag unter anderem einen Mühlenbetrieb im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Im Gegenzug räumten die Söhne ihm und seiner Ehefrau eine auf Lebenszeit bemessene Rente in Höhe von 6.000 DM monatlich ein. Die Verfassungsbeschwerde der Erben des Klägers richtet sich gegen die Erfassung dieser Versorgungsrente bei der Vermögensteuerveranlagung zum 1. Januar 1974.
Entscheidungsgründe
II.
Die angegriffenen Entscheidungen und die ihnen zugrundeliegenden Vorschriften lassen, soweit ihre Prüfung zum Gegenstand des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens gemacht worden ist, einen Grundrechtsverstoß nicht erkennen.
1. Zunächst ist es unter dem Blickwinkel des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber bei der Festlegung des sonstigen Vermögens im Sinne der §§ 110, 111 Bewertungsgesetz (BewG) zwischen einer „privaten” Altersversorgung (Ansammlung von Vermögenswerten, deren Stamm und Erträge zur Bestreitung der Altersbedürfnisse dienen sollen) und einer „kollektiven” Altersversorgung (Erwerb von Versorgungsansprüchen aus der Sozialversicherung, aus betrieblicher Altersversorgung, von gesetzlichen Versorgungsbezügen und sonstigen Renten, soweit sie unter vergleichbaren Bedingungen wie bei Sozialversicherungsrenten und Beamtenpensionen gewährt werden) unterscheidet und an diese Unterscheidung verschiedene vermögensteuerliche Folgen knüpft. Während die private Altersversorgung, auch in Form von Renten, grundsätzlich zum sonstigen Vermögen gerechnet (vgl. S 110 Abs. 1 Nr. 4 BewG) und entsprechend als Bemessungsgrundlage für die Vermögensteuer herangezogen wird (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 Vermögensteuergesetz – VStG), ist die kollektive Altersversorgung weitgehend dem Bereich des sonstigen Vermögens entzogen (vgl. § 111 Nr. 1-4 BewG) und unterliegt somit nicht der Vermögensteuer. Diese unterschiedliche Behandlung der vermögensteuerlich befreiten kollektiven Ansprüche einerseits und der privaten Altersversorgung andererseits findet ihre Rechtfertigung in dem unterschiedlichen Charakter der beiden Gruppen von Versorgungsansprüchen. Kollektive Ansprüche sind unveräußerlich und unvererblich, können nicht beliehen werden und tragen als weiteres Merkmal in sich, daß sie nicht unbedingt dem Berechtigten einmal als tatsächliche Leistung zugute kommen müssen, z.B. dann nicht, wenn der Berechtigte oder seine Ehefrau vor Erreichen des versorgungsfähigen Alters versterben. Bei den privaten Versorgungsansprüchen kann bei entsprechender Vertragsgestaltung demgegenüber sichergestellt werden, daß der Berechtigte oder ersatzweise jede dritte Person bis zu einem gewissen Umfang tatsächlich in den Genuß der Leistungen kommt. Diese Unterscheidung wird noch deutlicher, wenn die Altersvorsorge nicht durch rentenähnliche Versorgungsverträge, sondern durch die Ansammlung von Kapitalvermögen oder durch den Erwerb von Grundbesitz sichergestellt werden soll (vgl. BTDrucks. III/2573 S. 29 linke Spalte). Es ist deshalb nicht sachfremd, wenn der Gesetzgeber im Gegensatz zu den kollektiven Rentenansprüchen die privaten Versorgungsrenten aus sozialpolitischen Gründen nicht gleichfalls grundsätzlich von der Vermögensteuer freistellt, weil sie durch die mit ihr einhergehende Möglichkeit, auch beliebige Dritte zu begünstigen, in einem gewissen Umfang wie sonstiges Kapitalvermögen frei verfügbar und damit diesem stark angenähert sind. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG kann somit nicht darin erblickt werden, daß die im Zusammenhang mit einer vorgenommenen Betriebsübergabe gezahlte Versorgungsrente nicht in Höhe einer Sozialversicherungsrente als vermögensteuerfrei behandelt wird.
2. Ob und inwieweit von Verfassungs wegen, insbesondere unter Beachtung des Art. 3 Abs. 1 GG, gleichwohl eine Begünstigung der privaten Versorgungsrenten geboten ist, auf die ein Steuerpflichtiger für seine Altersversorgung im wesentlichen angewiesen ist, bedarf vorliegend keiner Prüfung, denn der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 6 Abs. 3 und Abs. 4 VStG in Verbindung mit § 111 Nr. 9 BewG eine weitreichende Entlastung privater Rentenbezieher vorgenommen. Dabei ist offenkundig, daß allein der Freibetrag des § 111 Nr. 9 BewG in Höhe von 4.800 DM des Jahreswertes der Rentenbezüge im Streitjahr 1974 den Umfang der Sozialhilfesätze bei weitem überstieg, so daß auf jeden Fall ein das Existenzminimum ausmachender Grundbetrag von der Vermögensteuer ausgenommen blieb. Damit scheidet auch eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG aus (vgl. BVerfGE 82, 60 ≪85 ff.≫).
3. Eine Verletzung des Art. 14 GG kommt ebenfalls nicht in Betracht, denn diese Grundgesetzbestimmung schützt nicht gegen die Auferlegung von Geldleistungspflichten, es sei denn, sie belasteten den Betroffenen übermäßig und beeinträchtigten ihn grundlegend in seinen Vermögensverhältnissen (vgl. BVerfGE 81, 108 ≪122≫ m.w.N.). Von einer in diesem Sinne erdrosselnden oder konfiskatorischen Wirkung der Vermögensteuer kann – auch unter Einbeziehung der Einkommensteuerlast – in der vorliegenden Fallgestaltung schon deshalb keine Rede sein, weil nach den rechtskräftigen Feststellungen des Finanzgerichts, die mit der Verfassungsbeschwerde substantiiert nicht angegriffen worden sind, eine private Versorgungsrente in Höhe von 72.000 DM jährlich tatsächlich gezahlt worden ist. Von diesen der Besteuerung unterliegenden Einkünften war somit nur ein Bruchteil an den Fiskus abzuführen. Für die Einlassung der Beschwerdeführer, die Besteuerung reduziere die Versorgungsrente auf Beträge in der Größenordnung der Sozialhilfe, ist eine Grundlage nicht ersichtlich.
4. Ebenso ist eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG nicht erkennbar, weil der Wert der Veräußerungsrente auch bei einer Vereinbarung mit fremden Dritten in dem dargelegten Umfang zu versteuern gewesen wäre, so daß die steuerliche Benachteiligung gerade nicht an das Bestehen einer Familienbeziehung anknüpft (vgl. BVerfGE 18, 97 ≪107≫).
5. Schließlich läßt das Vorbringen der Beschwerdeführer, daß der Einheitswert des Mühlenbetriebes, dessen Übereignung an die Söhne des Klägers Anlaß für die Einräumung des Rentenrechts gewesen sei, unter dem kapitalisierten Wert des Rentenrechts gelegen habe, einen Verfassungsbezug nicht erkennen. Die vermögensteuerliche Behandlung des Mühlenbetriebes vermag keine Erkenntnisse für die Frage zu vermitteln, ob der Rentenanspruch des Klägers steuerfrei zu stellen ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen