Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhältnis der EG-Richtlinien zum Umsatzsteuergesetz. Vorlagepflicht an den EuGH
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Normen der Europäischen Gemeinschaft binden nur die Mitgliedstaaten und sind keine allgemeine Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG.
2. Daß Bauunternehmer, die ihre Materialien auf dem Grundstück des Bestellers einbauen, im Falle des konkursbedingten Abbruchs des Vertragsverhältnisses gegenüber solchen Unternehmern benachteiligt werden, bei deren Vertragspartnern aufgrund der Art der erbrachten Leistungen kein gesetzlicher Eigentumserwerb stattfindet, ist Folge unterschiedlicher Lebenssachverhalte, die auch im bürgerlichen Recht und in den Vorschriften der Konkursordnung (vgl. § 26 KO) eine unterschiedliche gesetzliche Regelung erfahren haben.
3. Soweit Gerichte ausschließlich innerstaatliches Recht auslegen, ist eine Vorlage an den EuGH nicht erforderlich, auch wenn der Rechtsmittelführer meint, das angewandte deutsche Recht habe unter Berücksichtigung von EG-Normen anders ausgelegt werden müssen.
Normenkette
EWGV Art. 177 Abs. 3; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 25, 100 Abs. 2; UStG § 1
Verfahrensgang
Gründe
Die angegriffene Entscheidung des Bundesfinanzhofs läßt keine Verletzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin erkennen.
1. Zu Unrecht rügt die Beschwerdeführerin einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Gericht nach Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs durch Beschluß ohne mündliche Verhandlung entschieden hat. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Norm und ihre Anwendung im vorliegenden Fall bestehen nicht. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits in Beschlüssen nach § 93 a BVerfGG a.F. dargelegt hat (Beschluß vom 10. Januar 1979 – 1 BvR 1018/78; Beschluß vom 11. Juni 1982 – 2 BvR 433/82 – Veröffentlichung nicht bekannt),verletzt Art. 1 Ziff. 7 des Entlastungsgesetzes weder rechtsstaatliche Grundsätze noch den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dieser gebietet insbesondere nicht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (BVerfGE 5, 9 C117; 15, 303 C307J). Besondere Umstände, die hier aus verfassungsrechtlicher Sicht die Anwendung dieser Vorschrift des Entlastungsgesetzes verboten hätten, sind nicht ersichtlich. Allein die Tatsache, daß die Beschwerdeführerin und das Finanzgericht den aufgeworfenen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung beimaßen, beschränkte den Bundesfinanzhof jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Art. 103 Abs. 1 GG nicht in seiner Entscheidungsfreiheit über die zu wählende Verfahrensweise.
Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt auch nicht darin begründet, daß der Bundesfinanzhof die von der Beschwerdeführerin vorgelegten gutachtlichen Ausführungen in den Beschlußgründen nicht ausdrücklich erwähnt hat. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfGE 5, 22 ≪247≫, namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen (BVerfGE 50, 287 ≪289 f.≫; 65, 293 ≪295≫). Deshalb müssen, damit das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen kann, Besonderheiten des Einzelfalls deutlich machen, daß tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfGE 22, 267 ≪274≫). Dafür sind hier keine Anhaltspunkte ersichtlich.
2. Die Beschwerdeführerin wurde auch nicht ihrem gesetzlichen Richter entzogen.
Dabei braucht hier zu der bisher vom Bundesverfassungsgericht offengelassenen Frage, ob eine Nichtvorlage an den Europäischen Gerichtshof überhaupt einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begründen kann (BVerfGE 29, 198 ≪207≫; 31, 145 ≪169≫), nicht Stellung genommen zu werden, denn eine Vorlagepflicht des Bundesfinanzhofs nach Art. 177 Abs. 3 des EWG-Vertrages bestand nicht, so daß erst recht der für eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG notwendige Vorwurf der Willkür (BVerfGE 23, 288 ≪320≫) ausscheidet. Weder das Finanzgericht noch der Bundesfinanzhof haben Recht der Europäischen Gemeinschaft angewendet. Ihre Entscheidungen befassen sich ausschließlich mit innerstaatlichem Recht. Zwar meint die Beschwerdeführerin, das angewandte deutsche Recht habe unter Berücksichtigung von EG-Normen anders ausgelegt werden müssen. Das ändert aber nichts daran, daß sich aus der allein maßgeblichen Sicht der entscheidenden Gerichte die Frage, wie die von der Beschwerdeführerin angeführte EG-Richtlinie auszulegen sei, nicht stellte. Eine Vorlage kam daher gar nicht in Betracht.
Soweit die Beschwerdeführerin daneben die Pflicht des Bundesfinanzhofs zu einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 2 GG an das Bundesverfassungsgericht andeutet, beurteilt sie – abgesehen von der fehlenden Entscheidungserheblichkeit – die von ihr herangezogenen Normen der Europäischen Gemeinschaft, die nur die Mitgliedstaaten binden, zu Unrecht als allgemeine Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG (BVerfGE 16, 276 ≪282≫). Die von ihr darüber hinaus angesprochene analoge Anwendung des Art. 100 Abs. 2 GG für Vorschriften des Gemeinschaftsrechts scheitert bereits am klar abgegrenzten Regelungsbereich dieses Grundgesetzartikels.
3. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs beruht auch nicht auf einer Verkennung der Anforderungen des Gleichheitsgrundsatzes. Zwar führt die von ihm vertretene Ansicht dazu, daß Bauunternehmer, die ihre Materialien auf dem Grundstück des Bestellers einbauen, im Falle des konkursbedingten Abbruchs des Vertragsverhältnisses gegenüber solchen Unternehmern benachteiligt werden, bei deren Vertragspartnern aufgrund der Art der erbrachten Leistungen kein gesetzlicher Eigentumserwerb stattfindet. Diese Ungleichbehandlung ist aber Folge unterschiedlicher Lebenssachverhalte, die auch im bürgerlichen Recht und in den Vorschriften der Konkursordnung (vgl. § 26 KO) eine unterschiedliche gesetzliche Regelung erfahren haben. Schon deswegen liegt ein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vor.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen