Prof. Dr. Peter Lorson, Christina Wigger
4.1 Organisatorische Eingliederung in Unternehmensstrukturen
Carbon Accounting ist kein Selbstzweck. Es soll die Basis für das Carbon Controlling bilden, welches wiederum das Carbon Management unterstützt. Deshalb ist Carbon Accounting in ein zu implementierendes Carbon Controlling zu integrieren.
Die Einführung von Carbon Controlling ist ein mittel- bis langfristiger Prozess, der mehrere Stufen umfasst. Relevante Kontextfaktoren sind spezifische Unternehmensgegebenheiten, wie vorhandene Aufbau- und Ablauforganisation, sowie die im Wandel begriffenen Anforderungen in Bezug auf die ökologischen Problemfelder. Carbon Controlling ist unternehmensspezifisch und mit flexiblen Anpassungsmöglichkeiten an Umweltänderungen zu implementieren.
Unverzichtbar für ein leistungsfähiges Carbon Controlling ist die eindeutige Definition der zu verfolgenden Ziele in Bezug auf Kohlenstoffemissionen. Hieran anknüpfend können Verantwortungsbereiche definiert, Personen zugeordnet und Anreizsysteme zur Steuerung und Motivation der Mitarbeiter konzipiert werden. Anderenfalls kann von Carbon Controlling und Carbon Accounting kein positiver Beitrag zur CO2-Effizienz des Unternehmens erwartet werden.
Anknüpfungspunkte zur Kostenrechnung
Aufgrund des engen inhaltlichen und methodischen Bezugs zum traditionellen Unternehmenscontrolling ist es sachgerecht, das Carbon Accounting in bestehende Controllingstrukturen einzuordnen. Ökologische und ökonomische Informationen können gemeinsam erfasst, ausgewertet und berichtet werden. So scheint es zweckmäßig, ein Carbon Accounting mit der Kostenrechnung zu verbinden. Während die Kostenrechnung den in Geldeinheiten bewerteten Ressourcenverzehr in der Kostenartenrechnung systematisiert und über die Kostenstellenrechnung bis zur Kalkulation (Geldeinheiten je Kostenträger) weiterverrechnet, muss ein Carbon Accounting den in CO2(-Äquivalenten) bewerteten Ressourcenverzehr über die Leistungserstellungsprozesse des Unternehmens bis hin zu einer Kalkulation von CO2(-Äquivalenten) je Mengeneinheit verrechnen. Dabei können je nach Zweck sowohl im Rahmen der Kostenrechnung als auch beim Carbon Accounting unterschiedliche Zurechnungsprinzipien, wie Verursachungs-, Durchschnitts- oder Tragfähigkeitsprinzip, Verwendung finden. Insofern liegt es nahe, das Carbon Accounting an die Kostenrechnung anzulehnen oder sogar vollständig – mit Ausnahme der Periodenerfolgsrechnung – in diese einzugliedern. Allerdings setzt die Integration eines Carbon Accounting in eine entscheidungsorientierte (verursachungsgerechte) Kostenrechnung voraus, dass die funktionalen Zusammenhänge zwischen CO2-Verbrauch und Leistungserstellungsprozess vollständig bekannt sind und zwischen fixen und variablen CO2-Emissionen differenziert werden kann. Den Zusammenhang zwischen dem Carbon Accounting und der Kostenrechnung veranschaulicht die Abb. 5.
Abb. 5: Kostenrechnung und Carbon Accounting
4.2 Informationsbasis des Carbon Accounting
Festlegung der notwendigen Informationsbreite und -tiefe
Neben der organisatorischen Eingliederung muss die Unternehmensleitung zusammen mit dem Controlling entscheiden, in welchem Umfang das Carbon Accounting Informationen erfassen soll. Dies bestimmt maßgeblich den Implementierungsaufwand des Carbon Accounting. Es muss festgelegt werden,
- ob eher ein produktionsbezogener Gate-to-Gate-Ansatz oder eher ein Cradle-to-Grave-Ansatz verfolgt werden soll,
- welche Emissionsarten im Rahmen des Carbon Accounting zu berücksichtigen sind: nur Kohlenstoffdioxid, alle im Kyoto-Protokoll festgelegten Treibhausgase oder auch andere Emissionsarten,
- welche Objekte bei der Messung der Kohlenstoffemissionen betrachtet werden sollen: die ganze Unternehmung, einzelne Unternehmenseinheiten, Prozesse oder Produkte,
- welche Emissionsquellen durch das Carbon Accounting abgedeckt werden sollen: lediglich die selbst verursachten CO2-Emissionen oder zusätzlich die Emissionen, die durch Zulieferer entstehen; die Emissionen, die maßgeblich an der Produktentstehung beteiligt sind, oder auch die, die bei der Produktion der im Einsatz befindlichen Betriebsmittel entstanden sind.
Anhand dieser Entscheidungsmöglichkeiten werden im Schrifttum unterschiedliche Reifegrade des Carbon Accounting unterschieden (vgl. Abb. 6).
Abb. 6: Reifegrade des Carbon Accounting
In der Unternehmenspraxis am weitesten verbreitet ist der Reifegrad 1. Indes ist die Terminologie "Reifegrad" unglücklich gewählt. Solange es an Standardisierungen mangelt und deshalb Unternehmensvergleiche selbst innerhalb einer Branche nicht ohne Weiteres möglich sind, kann aus einem implementierten Carbon Accounting mit Reifegrad 1 nicht geschlossen werden, dass dieses Unternehmen weniger umweltbewusst handelt als ein Wettbewerber mit Reifegrad 3, der in seine Berechnung die unsichere Auflösung seines von Zulieferern bezogenen Inputs ...