Es ist schon lästig, diese ständige Veränderung. Gerade hat man sich an die neue Software gewöhnt, da gibt es auch schon ein Update und die Oberfläche sieht wieder anders aus. Kürzlich noch war der Besuch großer Konzerte möglich und man konnte in die Menge der Fans und in die Musik eintauchen, jetzt gibt es Regelungen zum Gesundheitssschutz, die das unmöglich scheinen lassen. Und der überaus gut durchdachte Projektplan, der vor wenigen Wochen erstellt wurde, scheint heute schon nicht mehr zu passen, weil der Kunde wieder neue Anforderungen hat.
Veränderung ist ein Zeichen von Leben und insofern uns allen sehr vertraut. Dennoch scheinen Veränderungen im Projektmanagement eher schwierig zu sein. Woher kommt das?
Ein Blick in die Systemtheorie und insbesondere das Cynefin-Framework kann helfen. Entwickelt wurde dieses Framework von David Snowden und es untersucht insbesondere die Art der Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Grob werden 4 Bereiche unterschieden:
- offensichtlich: Systeme mit offensichtlicher Ursache-Wirkungs-Beziehung sind, wie der Name schon nahelegt, sehr einfach verständlich. Offensichtliche Systeme lassen sich typischerweise über Kategorisierung einordnen, mit anderen Worten: Es gibt sowas wie ein Handbuch. Einen Besprechungsraum zu buchen bspw. ist in Unternehmen oft ein offensichtlich lösbares Problem, weil es ein Buchungssystem gibt, in dem sich die Raumverfügbarkeit überprüfen und ein geeigneter Raum buchen lässt. Man muss nicht unnötig lange planen oder analysieren, sondern kann quasi nachschlagen: sense – categorize – respond.
- kompliziert: Diese Systeme lassen sich komplett analysieren und verstehen, allerdings ist dafür möglicherweise Expertenwissen erforderlich. Ein Uhrmachermeister etwa kann ein mechanisches Uhrwerk analysieren und in der Wirkungsweise vollständig verstehen. Eine Architektin kann die Statik eines Gebäudes komplett berechnen. Und wenn ein kompliziertes System komplett analysiert werden kann, ist es eine gute Idee, das auch zu tun, d. h. das sinnvolle Vorgehen ist sense – analyze – respond.
- komplex: diese Systeme haben durchaus Ursache-Wirkungs-Beziehungen, allerdings gibt es so viele Einflussfaktoren, dass es nicht möglich ist, das System komplett zu analysieren und zu verstehen. Das Verhalten in komplexen Systemen versteht man typischerweise rückwärts, also von der Art "weil die das gemacht hat, hat der dann so reagiert und dann ist das passiert, und jetzt haben wir den Salat". Das Verhalten von Märkten und Menschen ist in der Regel komplex. Da sich komplexe Systeme nicht komplett durchanalysieren lassen, ist ein anderer, flexiblerer Ansatz erforderlich. Man kann nur schrittweise vorgehen, Hypothesen bilden über Wirkzusammenhänge, darauf basierend Erfahrungen sammeln und mit den neu gewonnenen Erkenntnissen den Kurs dann anpassen, d. h. probe – sense – respond.
- chaotisch: in diesen Systemen gibt es keine Ursache-Wirkungs-Beziehung, die sich für uns erschließen lässt. Das ist im Allgemeinen kein besonders angenehmer Zustand, weil in einem solchen Umfeld keine Voraussagen darüber gemacht werden können, wie die Akteure sich verhalten und wie die Zustände sich entwickeln werden. In chaotischen Systemen können am ehesten innovative Praktiken entstehen; das sinnvolle Vorgehen lässt sich hier mit act – sense – respond beschreiben.
Abb. 1: Cynefin Framework
Besonders relevant ist der Unterschied zwischen komplizierten und komplexen Systemen. Während sich komplizierte Systeme komplett verstehen und durchplanen lassen, kann das für komplexe Systeme per Definition nicht mehr gelingen. Damit ist klar, dass in komplexen Systemen der Projektplan nicht mehr nachhaltig existieren kann. Selbst wenn wir ein komplexes Projekt komplett durchplanen, dann kann das nur eine Momentaufnahme unseres aktuellen Wissensstands und unserer aktuellen Annahmen sein – und das kann sich morgen schon ändern. Wir müssen in einem komplexen System also grundlegend anders vorgehen.
Um als Organisation mit den Anforderungen komplexer Problemstellungen umgehen zu können, haben sich die agilen Arbeitsmethoden wie Scrum oder Kanban herausgebildet. Im Kern geht es dabei immer um eine Reduktion von Komplexität bei gleichzeitig Erhaltung der Flexibilität. In diesem Artikel wollen wir uns jedoch nur auf den Aspekt der Veränderungen und der Entwicklung des Teams fokussieren.