Leitsatz
Der vertragliche Rückzahlungsanspruch des Darlehensgebers als sonstige Kapitalforderung wird gemäß § 52 Abs. 28 Satz 16 des Einkommensteuergesetzes mit dem wirksamen Zustandekommen des Darlehensvertrags "begründet".
Normenkette
§ 52 Abs. 28 Sätze 15 und 16, § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG, § 355 HGB
Sachverhalt
Die Klägerin gewährte einer Hotel-Betriebsgesellschaft, der sie ein Hotelgrundstück verpachtete, ein Abrufdarlehen mit Vertrag von 1.1.2008 und verzichtete zum 31.12.2018 auf ihren Darlehensrückzahlungsanspruch. Alleingesellschafter der Betriebsgesellschaft war der Ehemann der Klägerin. Den Verlust machte sie in ihrer ESt-Erklärung des Streitjahres geltend. Der Verlust unterliege der tariflichen ESt, denn sie sei eine dem Anteilseigner nahestehende Person. Das FA lehnte den Verlust ab. Die Forderung sei vor dem 31.12.2008 erworben worden. Das FG hat der Klage stattgegeben. Die Forderung, auf welche die Klägerin verzichtet habe, sei erst nach vollständiger Tilgung des ursprünglich gewährten Darlehens und nach dem 31.12.2008 entstanden (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.6.2023, 7 K 7115/21, Haufe-Index 16187700).
Entscheidung
Auf die Revision des FA hat der BFH das angefochtene Urteil wegen Rechtsfehlern aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das neue Recht war im Streitfall nicht anwendbar, denn die Forderung, auf die die Klägerin verzichtet hat, ist vor dem 31.12.2008 (nämlich am 1.1.2008) begründet worden.
Hinweis
Der BFH hatte sich bereits in der Vergangenheit mehrfach mit der Übergangsvorschrift für die Anwendung von § 20 Abs. 2 Nr. 7 EStG befasst. Das Besprechungsurteil knüpft daran an und entwickelt die Voraussetzungen weiter, unter denen neues Recht zur Anwendung gelangt.
1. Forderungsverluste und -verzichte sind unter dem neuen Recht steuerbar. Sie unterliegen grundsätzlich der Abgeltungsteuer, können aber unter weiteren Voraussetzungen auch tariflich besteuert werden und mindern dann die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten, wenn und soweit das neue Recht anwendbar ist.
2.§ 52 Abs. 28 Satz 15 EStG regelt den zeitlichen Anwendungsbereich des neuen Rechts. Er definiert den Zeitpunkt (nach dem 31.12.2008) und das Ereignis (Zufluss des Kapitalertrags aus der Veräußerung sonstiger Kapitalforderungen) für die Anwendung des neuen Rechts. Wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, ist das neue Recht grundsätzlich anwendbar.
3.§ 52 Abs. 28 Satz 16 EStG schränkt die Grundregel in sachlicher Hinsicht wieder ein, indem er § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG für unanwendbar ("ist nicht anzuwenden") bei der Veräußerung bestimmter Kapitalforderungen erklärt. Das Kriterium für die Nichtanwendung ist der Zeitpunkt des "erfolgten Erwerbs" der veräußerten Kapitalforderung. Die gesetzliche Formulierung ("erfolgter Erwerb") ist offen; sie schließt den originären wie den derivativen Erwerb ein.
a) Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH ist neues Recht nach § 52 Abs. 28 Satz 16 EStG anwendbar, wenn die Forderung nach dem 31.12.2008 angeschafft oder begründet wurde. Aber diese Formel war immer noch zu offen. Sie ließ insbesondere keinen eindeutigen Schluss zu, ob es beim Erwerb eines Darlehensrückzahlungsanspruchs auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder den der Auszahlung des Darlehens ankommt. Darüber stritten die Beteiligten.
b) Der BFH hat sich für den früheren Zeitpunkt entschieden (Abschluss des Vertrags).
aa) Der Darlehensrückzahlungsanspruch ist ein vertraglicher Anspruch. Bereits im Darlehensvertrag verpflichtet sich der Darlehensnehmer, das Darlehen zurückzuzahlen. Ob der Anspruch des Darlehensgebers auf Rückzahlung (zivilrechtlich) erst mit der Auszahlung des Darlehens "entsteht", hat der BFH offengelassen.
bb) Als nicht entscheidend hat es der BFH angesehen, dass die Übergangsvorschrift auch den Begriff der "Kapitalforderung" enthält und dass eine Kapitalforderung i.S.d. materiellen Besteuerungstatbestands ein Wirtschaftsgut ist, das erst mit der Entstehung des Rückzahlungsanspruchs angenommen werden kann. Im Kontext habe der Begriff keine inhaltliche Bedeutung. Aus seiner Erwähnung in der Übergangsvorschrift müsse insbesondere nicht geschlossen werden, dass der Darlehensrückzahlungsanspruch erst mit der Valutierung des Darlehens "begründet" sei.
cc) Letztlich entscheidend war für den BFH, dass die Übergangsvorschrift möglichst einfach und rechtssicher gehandhabt werden kann. Das ist der Fall, wenn nur das Datum des Vertragsschlusses ermittelt werden muss. Sonst müssten Auszahlungsdaten ermittelt und unter Umständen noch weitere Anwendungsregeln für Teilvalutierungen entwickelt werden. Das erschien dem Senat weder tunlich noch geboten.
c) Unerheblich war der Umstand, dass das Darlehen nach dem Vortrag der Klägerin zwischenzeitlich vollständig getilgt und danach erneut in Anspruch genommen worden war. Dadurch kommt es jedenfalls nicht zum Abschluss eines neuen Vertrags. Ob das so auch bei einem Kontokorrent gilt, hat der BFH offengelassen. Das FG war zu Unrecht davon ausgegangen, ...