Leitsatz
Die Mitteilung über Änderungen in den für das Kindergeld erheblichen Verhältnissen, zu welcher der Kindergeldberechtigte nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG verpflichtet ist, ist keine "Anzeige" i.S.v. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, die zu einer Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist für den Anspruch auf Kindergeld führt.
Normenkette
§ 68 Abs. 1 EStG, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO
Sachverhalt
A bezog für seinen Sohn B bis Februar 2001 Kindergeld. 2003 erfuhr die Familienkasse, dass B bereits seit 1995 ausschließlich bei seiner Mutter C gewohnt hatte. Sie hob daher im Juli 2003 die Kindergeldfestsetzungen von Januar 1996 bis Februar 2001 rückwirkend auf.
Entscheidung
Der BFH beanstandete die Rückforderungen des Kindergelds für die Jahre 1996 bis 1998.
Der Anlauf der Festsetzungsfrist wurde nicht dadurch gehemmt, dass A den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen – den Wohnungswechsel des B zu C – der Familienkasse nicht mitgeteilt hatte. Denn er hatte diesen Umstand der Familienkasse lediglich mitzuteilen, aber nicht "anzuzeigen" i.S.v. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO.
Hinweis
Das Kindergeld wird nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung gezahlt. Aufgrund der Verweisung in § 155 Abs. 4 AO sind daher auf die Kindergeldfestsetzung die AO-Vorschriften über die Steuerfestsetzung und damit auch die Regelungen über die Festsetzungsverjährung sinngemäß anzuwenden.
Die Festsetzungsfrist für die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung beträgt daher vier Jahre, falls sich die Frist nicht wegen leichfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre oder wegen Steuerhinterziehung auf 10 Jahre verlängert.
Die Frist beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahrs für das in den einzelnen Kalendermonaten gezahlte Kindergeld. Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO wird der Fristbeginn – allerdings längstens bis drei Jahre – hinausgeschoben, wenn eine Steuererklärung oder Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist (sog. Anlaufhemmung). Dadurch wird verhindert, dass durch Nichtabgabe oder verspätete Einreichung die Bearbeitungszeit der Behörde verkürzt wird.
Da ein Kindergeldempfänger nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten Änderungen in den kindergeldrelevanten Verhältnissen unverzüglich der Familienkasse mitteilen muss, war fraglich, ob diese Mitteilungen als Anzeigen i.S.v. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zu werten sind mit der Folge, dass die Festsetzungsfrist nicht mit dem Jahresablauf beginnt, sondern entsprechend hinausgeschoben wird.
Der BFH lehnt eine Anlaufhemmung wegen unterlassener Mitteilungen nach § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG ab. Dafür spricht vor allem der unterschiedliche Wortlaut. Hätte der Gesetzgeber durch das Unterlassen der Mitteilung kindergeldrelevanter Umstände eine Hemmung des Ahnlaufs der Festsetzungsfrist auslösen wollen, hätte er – wie z.B. in § 30 ErbStG oder § 19 GrEStG – den Begriff "anzeigen" verwandt. Außerdem sind die Familienkassen nicht ausschließlich auf die Mitwirkung der Kindergeldberechtigten angewiesen, sondern erhalten z.B. Wohnsitzveränderungen von den Meldebehörden mitgeteilt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.5.2006, III R 80/04