Dr. Matthias Emler, Fabian Dülken
Bei der Umsetzung einer digitalen E2E-Plattform werden Unternehmen mit herausfordernden Technologieauswahlprozessen konfrontiert, deren Umfang und Komplexität jene üblicher Softwareauswahlverfahren übersteigen. Grund für diesen Mehraufwand ist in erster Linie der breite inhaltliche, prozessuale und technische Umfang der Plattform: Selbst bei einem sequentiellen Vorgehen nach Variante 2 muss die Plattformtechnologie für die gesamte BI-Architekturkette von Datenbereitstellung bis zur fachlichen Anwenderebene im Bereich Reporting, Konsolidierung, Planung und Analytics abdeckt werden. Zusätzlich ist die technische Integrationsfähigkeit mit den zukünftigen ERP-Technologien sicherzustellen. Hierbei muss u. a. gewährleistet werden, dass alle untersuchten Plattformbestandteile
- die funktionalen Anforderungen zugrundeliegender Prozesse erfüllen,
- ohne Einschränkungen im Gesamtverbund integriert zusammenwirken können und
- dem Governance- und Betriebsführungsanspruch an die Plattform genügen.
Vergegenwärtigt man sich den Markt für BI- und Analytics-Anwendungen, auf dem sich eine Vielzahl an ausgereiften DWH- und Data-Lake-Technologien sowie Lösungen für die unterschiedlichen BI-Anwendungsarten wie z. B. Reporting, Konsolidierung, Planung und Analytics findet, wird ersichtlich, dass der Technologieauswahlprozess für eine Plattform für E2E-Performance-Management ein hohes Maß an Komplexität annehmen kann.
Aufgrund der umfangreichen Anzahl an gleichzeitig zu bewertenden Anwendungen ist eine parallele Auswahl aller Komponenten mithilfe von detaillierten Kriterienkatalogen und Showcases in der Regel nicht kurzfristig durchführbar. Sofern die Zeit für ein umfangreiches Auswahlverfahren nicht vorhanden ist, empfiehlt sich eine szenariobasierte Softwareauswahl als pragmatische Alternative. Hierbei werden statt einzelner Lösungen ganze vorausgewählte Plattformkonfigurationen verglichen:
- Zunächst werden übergreifende Kriterien definiert, welchen die Plattform gerecht werden soll. Diese können je nach Unternehmen sehr individuell sein und leiten sich teilweise aus den Strategien der Fachbereiche, teilweise aus der IT-Strategie ab.
- Die erfassten Kriterien werden genutzt, um in enger Zusammenarbeit mit den Fach- und IT-Bereichen 2 bis 4 geeignete Architekturszenarien zu erarbeiten. Diese Vorauswahl verzichtet auf eine separate, formelle Auswahl einzelner Lösungen und stützt sich stattdessen auf bestehende Erfahrung und Marktkenntnis des Projektteams.
- Die entworfenen Architekturszenarien werden systematisch entlang der zuvor definierten Kriterien bewertet, um sie auf diese Weise objektiv untereinander vergleichbar zu machen. Dadurch werden für jedes Szenario spezifische Vor- und Nachteile herausgestellt. Der Vergleich der Szenarien wird zusätzlich durch die Kalkulation von Business Cases und die gezielte Verprobung ausgewählter Komponenten via Showcases unterstützt.
- Auf Basis der in Punkt drei erarbeiteten Entscheidungsvorlage vergleicht das Unternehmen die Technologieszenarien und wählt das bevorzugte zur Implementierung aus (vgl. Abb. 7).
Durch die gesamtheitliche Betrachtung der Plattform anhand von Szenarien gelingt es, den Softwareauswahlprozess auf ein praktikables Maß zu verschlanken, ohne dabei die erreichte Betrachtungsschärfe maßgeblich einzuschränken. Auf der Kehrseite stellt das Verfahren hohe Ansprüche an das durchführende Projektteam: Um Lösungskandidaten zu identifizieren, ist nicht nur ein tiefes Verständnis der funktionalen Aspekte der Plattform, sondern auch ein umfassender Überblick zum aktuellen BI-Marktes nötig. Zur späteren Bewertung und Auswahl der Kandidaten bedarf es eingehender Kenntnisse von Funktionsumfang, technischen Limitationen und Integrationspotential der Anwendungen auf allen Architekturebenen der Plattform.
Abb. 7: Beispielhaftes Schema eines szenariobasierten Softwareauswahlprozesses