OFD Hannover, Verfügung v. 29.9.2004, S 0338 - 43 - StH 464/S 0338 - 24 - StO 321

 

1. Allgemeines

Grundsätzlich kann der Haftungsschuldner seiner Inanspruchnahme nach § 191 AO aus Gründen eines wirkungsvollen Rechtsschutzes uneingeschränkt Einwendungen entgegensetzen, die nicht nur die Haftungsschuld, sondern die davon zu unterscheidende sog. Primärschuld, für die er als Haftender in Anspruch genommen wird, betreffen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.11.1996, 2 BvR 1157/93, BStBl 1997 II S. 415).

Eine gegen den Haftungsschuldner gerichtete Drittwirkung des gegen den Steuerschuldner erlassenen Bescheides ist aber ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 166 AO gegeben, so dass Personen i.S. des § 166 AO im Haftungsverfahren keine Einwendungen gegen den zu Grunde liegenden Steuerbescheid erheben können.

 

2. Sachlicher Geltungsbereich

 

2.1 Haftungsbescheide

§ 166 AO gilt aufgrund der systematischen Stellung im Gesetz nicht für Haftungsbescheide (BFH-Urteil vom 16.11.1995, VI R 82/95, BFH/NV 1996 S. 285), wenn die Haftung einer weiteren Person für die Haftungsschuld in Betracht kommt. Eine Anwendung der Vorschrift ist insoweit weder in § 191 AO noch an anderer Stelle angeordnet worden. Wird also ein GmbH-Geschäftsführer seinerseits als Haftender für gegenüber der Gesellschaft festgesetzte Haftungsbeträge (z.B. Lohnsteuerhaftungsbescheid nach § 42d Abs. 1 EStG) in Anspruch genommen, bleiben ihm sämtliche Einwendungen gegen Grund und Höhe des Primäranspruchs erhalten, auch wenn der gegen die Gesellschaft gerichtete Haftungsbescheid bestandskräftig ist.

 

2.2 Duldungsbescheide

Der Anfechtungsgegner ist von Einwendungen gegen den seiner Inanspruchnahme zugrunde liegenden bestandskräftigen Steuer- oder Haftungsbescheid ausgeschlossen (BFH-Urteil vom 1.3.1988, VII R 109/86, BStBl 1988 II S. 408).

 

3. Persönlicher Geltungsbereich

Die Aufzählung der in § 166 AO genannten Personenkreise ist abschließend. Es sind dies:

 

3.1 Gesamtrechtsnachfolger

Gesamtrechtsnachfolger i.S. des § 45 AO liegt vor bei Erbfall, Verschmelzung und Umwandlung von Gesellschaften, Nachfolge des Fiskus in das Vermögen eines erloschenen Vereins, Eintritt in die Gütergemeinschaft, Anwachsung, Verstaatlichung und Zusammenschluss öffentl.-rechtl. Körperschaften.

Kein Gesamtrechtsnachfolger ist der Betriebsübernehmer i.S. des § 75 AO. Er braucht die unanfechtbare Festsetzung der Primärschuld nicht gegen sich gelten zu lassen; das gilt auch, wenn der Haftungsfall (z. B. die Veräußerung des Gewerbebetriebes) erst während eines Rechtsbehelfsverfahrens (also vor der Unanfechtbarkeit) eintritt (Tipke/Kruse, AO-Kommentar, § 166 Tz. 9).

 

3.2 Vertreter und Bevollmächtigte

Vertreter sind die gesetzlichen Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO. Bevollmächtigte erlangen ihre Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft (Vollmacht) und sind gewillkürte Vertreter. Bevollmächtigter kann auch der Steuerberater, Rechtsanwalt oder Notar sein.

 

3.3 Personen mit einer Anfechtungsbefugnis kraft eigenen Rechts

Eine eigene Rechtsbehelfsbefugnis haben diejenigen, die gem. § 350 AO durch die Steuerfestsetzung beschwert sind, bei Feststellungsbescheiden die in § 352 AO genannten Personen sowie die Vermögensverwalter gem. § 34 Abs. 3 AO.

Der Haftungsschuldner ist nur durch den Haftungsbescheid beschwert, nicht durch die Festsetzung der Primärschuld; er hat daher keine eigene Rechtsbehelfsbefugnis i.S. des § 166 AO (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.11.1996 a.a.O.).

Eine nur gemeinschaftliche Anfechtungsbefugnis der Gesellschafter einer GbR hinsichtlich eines gegenüber der GbR erlassenen Steuerbescheides bleibt auch bestehen, wenn die Gesellschaft nicht mehr bestehen sollte und sogar wenn einer der Gesellschafter für eine im Namen der Gesellschaft erhobene Klage die Erteilung einer Vollmacht schikanös verweigert (BFH-Beschluss vom 25.7.1995, IV B 161/94, BFH/NV 1996 S. 155).

Ein Gesellschafter einer GbR ist zwar, soweit ihm nach den Gesellschaftsvertrag die Befugnis zur Geschäftsführung zusteht, im Zweifel gem. § 714 BGB auch ermächtigt, die anderen Gesellschafter Dritten gegenüber zu vertreten. Nach dem gesetzlichen Regelfall steht die Geschäftsführung der GbR aber gem. §§ 709-712 BGB allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zu. Abweichendes bedarf vertraglicher Regelung durch die Gesellschafter (BFH-Urteil vom 16.12.1997, VII R 30/97; BStBl 1998 II S. 319).

 

4. Voraussetzungen

 

4.1 Unanfechtbarkeit

Unter Unanfechtbarkeit wird grundsätzlich die formelle Bestandskraft eines Bescheides verstanden, wenn der Bescheid nicht mehr mit einem förmlichen Rechtsbehelf angegriffen werden kann. Der BFH sieht aber Bescheide auch dann als nicht unanfechtbar an, wenn sie noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen und damit bis zur Aufhebung des Vorbehalts bzw. bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist noch geändert werden können (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 28.3.2001, VII B 213/00, BFH/NV 2001 S. 1217).

Die in § 166 AO genannten Personen sind somit nicht von Einwendungen ausgeschlossen, die dem Primärschuldner noch zustehen würden.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge