Dr. Björn-Axel Dißars, Dr. Ulf-Christian Dißars
Leitsatz
Keine Änderung der Steuerfestsetzung, wenn das Finanzamt bei Kenntnis von den neuen Tatsachen nicht anders entschieden hätte.
Sachverhalt
Der Kläger war Lehrer, der in den Jahren 2007 und 2008 unstrittig ein häusliches Arbeitszimmer unterhielt. In der Einkommensteuererklärung 2007 machte er für dieses keine Aufwendungen geltend. Das Finanzamt veranlagte entsprechend. Auch in der Steuererklärung 2008 machte der Kläger keine Aufwendungen für das Arbeitszimmer geltend, der Steuerbescheid erging im Februar 2009. Mit Schreiben v. August 2010 beantragte der Kläger nunmehr, in den Jahren 2007 und 2008 die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer in Höhe von jeweils 1.250 EUR zu berücksichtigen. Zur Begründung verwies er auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) v. 6.7.2010, in der festgestellt wurde, dass die ab dem VZ 2007 geltende Neuregelung zur Abziehbarkeit des Arbeitszimmers gegen Art. 3 GG verstoße. Der Gesetzgeber sei verpflichtet worden, rückwirkend ab 1.1.2007 diesen Zustand zu beseitigen. Das Finanzamt (FA) lehnte die Änderung ab, da es keine Änderungsmöglichkeit sah. Hiergegen legte der Kläger Einspruch und anschließend Klage ein. Eine Anerkennung der Kosten für das häusliche Arbeitszimmer lehnte das FA weiterhin ab.
Entscheidung
Die Klage vor dem Finanzgericht (FG) Münster hatte keinen Erfolg. Auch nach Ansicht des Gerichts gab es bei den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden 2007 und 2008 keine Änderungsnorm. Ein Anspruch auf Änderung ergebe sich nicht direkt aus der Entscheidung des BVerfG. Zum einen könne dies nicht aus Art. 3 GG direkt erfolgen, zum anderen deshalb nicht, da die geforderte gesetzliche Neuregelung die alte Gesetzesfassung wieder hergestellt hat. Diese gelte aber nur für die offenen Fälle, ein solcher sei hier nicht gegeben, da die Einkommensteuerfestsetzungen 2007 und 2008 bestandskräftig waren. Eine Änderung auf der Grundlage des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO komme nicht in Betracht, da zwar eine neue Tatsache vorliege an deren nachträglichen Bekanntwerden auch kein grobes Verschulden des Klägers bestehe. Allerdings müsse die neue Tatsache auch rechtserheblich sein, sie müsse also zu einer niedrigeren Steuer geführt haben, wenn sie bekannt gewesen wäre. Dies sei hier aber nicht der Fall, da die Finanzverwaltung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch nach der neuen Rechtslage die Anerkennung des Arbeitszimmers verweigert hätte. Eine andere Änderungsnorm greife ebenfalls nicht ein.
Hinweis
Das Urteil stellt eine Folge der Entscheidung des BVerfG v. 6.7.2010 dar, nach der die Neuregelung zum Arbeitszimmer verfassungswidrig gewesen ist. Im Anschluss an dieses Urteil war in der Literatur die Ansicht vertreten worden, auch bestandskräftige Steuerbescheide seien zu ändern. Dem trat das FG Münster jedoch entgegen. Es ist zwar misslich, dass festgestellte Verfassungsverstöße regelmäßig nur zu einer Änderung noch offener Steuerfestsetzungen führen, doch wäre eine andere Auffassung aus fiskalischer Sicht wohl nur schwer vertretbar. Eine Änderung nach § 173 AO - als neue Tatsache - scheiterte dabei hier daran, dass die Tatsache nach Feststellung des FG Münster nicht rechtserheblich war, denn auch bei Kenntnis von dem häuslichen Arbeitszimmer hätte das Finanzamt dieses nicht anerkannt . Ärgerlich ist zweifellos, dass die Finanzverwaltung einen Vorläufigkeitsvermerk zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung zum Arbeitszimmer erst mit Schreiben v. 1.4.2009 den zu diesem Zeitpunkt noch nicht ergangenen Steuerfestsetzungen hinzufügen ließ. Damit waren die Steuerpflichtigen benachteiligt, die ihre Steuererklärungen früh abgegeben hatten. So auch der Kläger. Als Fazit lässt sich festhalten, dass es bei verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Bestimmungen des Steuerrecht stets angezeigt ist, mittels eines Einspruchs den Fall offen zu halten und dann ein Ruhen des Verfahrens nach § 363 AO zu beantragen.
Die Entscheidung ist rechtkräftig.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Urteil vom 18.01.2012, 11 K 4319/10 E