Bescheidänderung: Nichtberücksichtigung von erklärten Einkünften

Ein Steuerbescheid ist nach § 175b AO aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten im Sinne des § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden.

Voraussetzung für die Anwendung der Korrekturvorschrift ist also, dass übermittelte Daten "bei der Steuerfestsetzung" nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist dabei, dass die fehlerhafte Auswertung der übermittelten Daten zu einer materiell unzutreffenden Besteuerung geführt hat. Denn eine Änderung ist nur gerechtfertigt, wenn der betroffene Steuerbescheid zuvor rechtswidrig war.

Das Niedersächsische FG hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Änderungsnorm auch Anwendung findet, wenn im Zeitpunkt der Durchführung der erstmaligen Veranlagung die Rentenbezugsmitteilung der Rentenversicherung noch nicht elektronisch vorgelegen, der Steuerpflichtige die Einnahmen aber erklärt hat und das Finanzamt diese - aufgrund der fehlenden elektronischen Übermittlung - aber unberücksichtigt lässt.

Fehlende elektronische Datenübermittlung der Deutschen Rentenversicherung

So hatte der Kläger im Fall des FG Renteneinnahmen von der Deutschen Rentenversicherung erklärt. Das Finanzamt ließ diese unberücksichtigt, da keine elektronische Datenübermittlung vorlag. Nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides wurden die Daten elektronisch übermittelt und das Finanzamt änderte nach § 175b Abs. 1 AO.

Kläger: Kein Fall des § 175b Abs. 1 AO

Die Kläger waren der Auffassung, dass der Einkommensteuerbescheid nicht habe geändert werden dürfen. Sie hätten in ihrer Einkommensteuererklärung Einnahmen aus der Leibrente zutreffend erklärt. Die übermittelten Daten seien dazu bestimmt, den Finanzämtern lediglich zur Unterstützung bei der Sachverhaltsermittlung zu dienen. Die Finanzbehörden seien aber nach wie vor gehalten, eine eigene Tatsachen- und Rechtswürdigung vorzunehmen.

§ 175b AO könne nicht dem Zweck dienen und dazu führen, dass ein Finanzamt diese ihm vorliegenden Informationen aus der Steuererklärung des Steuerpflichtigen ohne Weiteres unberücksichtigt lasse. Alleiniger Zweck der Vorschrift sei es, eine Korrekturmöglichkeit für solche Steuerbescheide zu schaffen, die aufgrund der fehlerhaften Übermittlung oder einer fehlerhaften Verwertung übermittelter Daten fehlerbehaftet gewesen seien.

Nicht vom Anwendungsbereich der Norm erfasst sei dagegen die wissentliche Außerachtlassung von Angaben des Steuerpflichtigen verbunden mit der erstmaligen Erfassung dieser Daten aufgrund von nachträglich durch die mitteilungspflichtige Stelle übermittelter Daten. Es handele sich insoweit eben gerade nicht um die nicht oder nicht zutreffende Berücksichtigung von an die Finanzbehörden übermittelten Daten im Sinne des § 93c AO.

FG: § 175b Abs. 1 AO betrifft auch später übermittelte Daten

Das Niedersächsische FG ist aber der Auffassung, dass das Finanzamt ändern durfte ( Urteil v. 13.10.2022, 2 K 123/22). Nach dem Wortlaut der Norm bestehen für das FG zwar Zweifel, ob die Voraussetzungen des § 175b Abs. 1 AO dann erfüllt sein können, wenn im Zeitpunkt der Erstveranlagung gar keine übermittelten Daten vorlagen. Dementsprechend wird in der Literatur auch die Auffassung vertreten, die Vorschrift greife nach dem Wortlaut nur ein, wenn die fraglichen Daten zum Zeitpunkt der Durchführung der ursprünglichen Veranlagung bereits vorlagen. Dieser Auslegung sei sich aber nicht anzuschließen. Vielmehr sind die Daten auch dann nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt, wenn sie erst später übermittelt worden sind.

Einführung der Norm durch den Gesetzgeber

Die Norm löse den Prinzipienwiderspruch zwischen Rechtsrichtigkeit und Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit, indem sie die Aufhebung oder Änderung rechtswidriger, also materiell fehlerhafter Steuerbescheide - umfangreich - ermöglicht. Der Gesetzgeber sah sich zur Einführung einer eigenständigen Änderungsnorm veranlasst, weil die von Dritten zu übermittelnden Daten nicht die Funktion eines Grundlagenbescheides besitzen.

Dabei habe er sich bei der Einführung der Änderungsnorm bewusst dafür entschieden, diese dogmatisch als Ergänzung zur Änderungsnorm für Grundlagenbescheide nach § 175 AO auszugestalten. Der Charakter der Änderungsnorm als Ergänzung zu § 175 AO lasse es für eine Änderung ausreichen, dass die Daten später übermittelt werden. Die Konstellation im Urteilsfall sei mit der Konstellation vergleichbar, dass ein Grundlagenbescheid erstmals erlassen wird, nachdem der Folgebescheid schon erlassen worden war. Hier ist eine Änderung unstreitig möglich und zwar auch dann, wenn der Steuerpflichtige die gesondert festzustellenden Einkünfte zutreffend in seine Steuererklärung aufgenommen, der Sachbearbeiter des Finanzamtes die Angaben aber nicht in die Steuerfestsetzung übernommen hat, weil ein Grundlagenbescheid zum Zeitpunkt der Durchführung der Veranlagung des Folgebescheids noch nicht vorlag.

Die Auslegung des FG werde auch durch § 175b Abs. 4 AO bestätigt. Hiernach darf eine Änderung nur durchgeführt werden, wenn nachträglich übermittelte Daten rechtserheblich sind. Diese Regelung mache nur Sinn, wenn nachträglich übermittelte Daten dem Grunde nach eine Änderung auslösen können. In diesem Zusammenhang habe der Gesetzgeber zur Begründung ausdrücklich ausgeführt, dass der Anwendungsbereich des § 175b Abs. 1 AO erfüllt ist, wenn von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzverwaltung nach § 93c AO - erstmals oder korrigierte - übermittelte Daten bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden.

Revisionsverfahren beim BFH anhängig

Gegen die Entscheidung des FG Niedersachsen läuft ein Revisionsverfahren vor dem BFH (X R 25/22). Vergleichbare Fälle sollten auf jeden Fall offen gehalten werden, bis der BFH entschieden hat.


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