Unzutreffende Auswertung elektronisch übermittelter Daten
Hintergrund: Änderungsbescheid wegen nicht berücksichtigter elektronischer Daten
X ist die Mutter eines in ihrem Haushalt lebenden Sohnes (S), der aus der Ehe mit ihrem geschiedenen Ehemann, dem Vater (V), stammt. V hat als Versicherungsnehmer für S als versicherte Person eine private Krankenversicherung (K) abgeschlossen. Die Beiträge bezahlte V.
K übermittelte für 2017 elektronisch Datensätze zur Steuernummer der X. Angegeben waren Familienname, Vorname, Geburtstag, Anschrift und Identifikationsnummer des S, ferner die Höhe der geleisteten Beiträge sowie der Name und das Geburtsdatum des V als Versicherungsnehmer.
X machte in ihrer ESt-Erklärung keine Krankenversicherungsbeiträge für S geltend. Dementsprechend berücksichtigte das FA bei der Veranlagung keine Beiträge.
Nachfolgend erging ein geänderter (auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) gestützter Bescheid, mit dem das FA (neben der Herabsetzung der Einkünfte aus VuV) die für S gezahlten Krankenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben anerkannte.
Kurz darauf erließ das FA den in dem vorliegenden Verfahren angefochtenen (auf § 175b AO gestützten) weiteren Änderungsbescheid, mit dem es den Abzug der Krankenversicherungsbeiträge rückgängig machte und die ESt erhöhte.
X wandte ein, § 175b Abs. 1 AO ermögliche nur Änderungen bezüglich der Inhalte, die sich aus der Datenübermittlung selbst ergäben. Es sollten keine unbeschränkten Änderungsmöglichkeiten bezüglich weiterer Sachverhaltsannahmen eröffnet werden, nur weil Daten elektronisch übermittelt worden seien. Im Streitfall lasse sich den übermittelten Daten die Person des Abzugsberechtigten nicht entnehmen.
Das FG wies die Klage ab. Die Voraussetzungen des § 175b Abs. 1 AO seien im Streitfall erfüllt. Die Berücksichtigung der Daten bei einem falschen Steuerpflichtigen stelle eine unzutreffende Auswertung der Daten dar.
Entscheidung: Die Korrektur nach § 175b EStG umfasst sämtliche mitteilungspflichtigen Daten
Der BFH bestätigt die Auffassung des FA. Das FA durfte den materiell-rechtlich fehlerhaften Abzug der von V für S gezahlten Krankenversicherungsbeiträge bei X nach § 175b Abs. 1 AO korrigieren.
Kein Abzug der Versicherungsbeiträge bei X
Die von V für S gehzahlten Beiträge sind bei X nicht abziehbar. Grundsätzlich kann nur derjenige Vorsorgeaufwendungen aus Versicherungsverträgen als Sonderausgaben abziehen, der sie als Versicherungsnehmer selbst zivilrechtlich schuldet und auch tatsächlich zahlt (BFH v. 08.03.1995 - X R 80/91, BStBl II 1995, 637; ebenso BMF v. 24.05.2017, BStBl I 2017, 820, Rz 81). Das ist im Streitfall V und nicht X. § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 EStG i.d.F. des Gesetzes vom 12.12.2019 (BGBl I 2019, 2451, betr. Beitragszahlung durch den unterhaltspflichtigen Elternteil) war im Streitjahr noch nicht anwendbar.
Korrektur des fehlerhaften Sonderausgabenabzugs bei X nach § 175b AO
Die Voraussetzungen des § 175b Abs. 1 AO sind erfüllt. Die von der K für die X übermittelten Daten i.S. des § 93c AO wurden bei der Steuerfestsetzung der X nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt (fehlerhafter Abzug der von V gezahlten Versicherungsbeiträge). Allerdings stellt sich im Streitfall das Problem, dass die Übermittlung der für die Fehlerhaftigkeit des gegen die X ergangenen ESt-Bescheids entscheidenden Daten (die Höhe der geleisteten Beiträge und die Identifikationsnummer des Versicherungsnehmers) nicht in § 93c AO angeordnet wird, sondern in § 10 Abs. 2a Satz 4 Nr. 2 EStG a.F. (jetzt Abs. 2b). Gleichwohl handelt es sich auch bei diesen Daten (wie von § 175b Abs. 1 AO vorausgesetzt) um "Daten im Sinne des § 93c AO". Der in § 175b Abs. 1 AO verwendete Begriff der "Daten" ist nicht auf den "Datensatz" beschränkt, dessen (Mindest-)Inhalt in § 93c Abs. 1 Nr. 2 AO definiert wird. Vielmehr erfasst § 93c nach dem Eingangssatz seines Abs. 1 alle steuerlichen Daten eines Steuerpflichtigen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einer mitteilungspflichtigen Stelle an Finanzbehörden elektronisch zu übermitteln sind. Hierzu gehören auch die Daten, deren Übermittlung an die Finanzbehörde erst in einem Einzelsteuergesetz ("auf Grund gesetzlicher Vorschriften", hier § 10 EStG) angeordnet wird.
Unzutreffende Berücksichtigung der Daten
Die nach § 93c Abs. 1 AO i.V.m. § 10 Abs. 2a Satz 4 Nr. 2 EStG a.F. (jetzt Abs. 2b) übermittelten Daten zur Höhe der für S geleisteten Krankenversicherungsbeiträge wurden (wie von § 175b Abs. 1 AO vorausgesetzt) bei der gegen die X ergangenen Steuerfestsetzung nicht zutreffend berücksichtigt. Denn materiell-rechtlich waren diese Beiträge nicht bei ihr, sondern bei V als Sonderausgaben abzuziehen.
Hinweis: Keine restriktive Auslegung
Der BFH lehnt eine restriktive Auslegung des § 175b AO in dem Sinne ab, dass die Vorschrift nur dann eingreifen soll, wenn sich die entscheidenden Daten aus § 93c AO ergeben. Der BFH befürwortet eine weite Auslegung dahingehend, dass die Korrektur auch greift, wenn die in einem Einzelsteuergesetz enthaltene Mitteilungspflicht unbeachtet geblieben ist. § 83c AO regelt lediglich die Rahmenbedingungen der elektronischen Datenübermittlung. Umfang und Inhalt der zu ermittelnden Daten ergeben sich aus den Einzelsteuergesetzen, hier aus § 10 EStG.
Angabe einer unzutreffenden Korrekturvorschrift
Das FA hatte als Korrekturvorschrift zuerst auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und erst später auf § 175b AO verwiesen. Das ist unschädlich. Die die Angabe einer unzutreffenden Korrekturvorschrift ist für die Rechtmäßigkeit eines Bescheids unerheblich ist (BFH v. 14. 9.1993, VIII R 9/93, BStBl II 1995, 2).
BFH Urteil vom 08.09.2021 - X R 5/21 (veröffentlicht am 10.03.2022)
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