Fehler der Finanzbehörde: Bescheidänderung nach § 175b AO

Ein Steuerbescheid ist nach § 175b Abs. 1 AO aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten im Sinne des § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden. Gilt dies auch, wenn der Finanzbehörde ein Fehler unterläuft?

Voraussetzung für die Anwendung der Korrekturvorschrift ist, dass übermittelte Daten "bei der Steuerfestsetzung" nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden. Ungeschriebe"nes Tatbestandsmerkmal ist dabei, dass die fehlerhafte Auswertung der übermittelten Daten zu einer materiell unzutreffenden Besteuerung geführt hat. Denn eine Änderung ist nur gerechtfertigt, wenn der betroffene Steuerbescheid zuvor rechtswidrig war.

Der BFH hatte kürzlich in einem Fall zu entscheiden, ob eine Änderung nach § 175b Abs. 1 AO zulässig ist, wenn die unzutreffende Berücksichtigung der von einem Dritten übermittelten Daten auf einen Fehler der Finanzbehörde zurückzuführen ist.

Prüfhinweis des Risikomanagementsystems abgezeichnet

Im entschidenen Fall wurden dem Finanzamt durch den Arbeitgeber des Klägers für das Kalenderjahr 2018 elektronische Lohnsteuerbescheinigungen übermittelt, die auch einen Betrag in Höhe von 9.000 EUR für eine nicht ermäßigt besteuerte Entschädigung enthielten. Es wurde angegeben, dass der Betrag i. H. v. 9.000 EUR in Zeile 3 (Bruttoarbeitslohn) enthalten ist.

Der Stpfl. zog aber im Rahmen der Einkommensteuererklärung den Betrag i. H. v. 9.000 EUR vom Bruttoarbeitslohn ab. Im Bescheid für 2018 berücksichtigte das Finanzamt (erkläungsgemäß) den um die Entschädigung geminderten Bruttoarbeitslohn. Den durch das Risikomanagementsystem (RMS) ausgegebenen Prüfhinweis, die Daten der Lohnsteuerbescheinigung wichen von den erklärten Werten ab, zeichnete die Bearbeiterin mit dem Vermerk "Abfindungsvertrag liegt vor. Geprüft." ab.

Auffassung der Kläger: § 175b AO nicht anwendbar

Die Kläger waren u. a. der Auffassung, dass sich der Beklagte allein auf seine Angaben verlassen habe. Die übermittelten elektronischen Daten hätten bei der Ursprungsveranlagung keine Rolle gespielt. § 175b AO solle jedoch (nur) eine Korrektur von Bescheiden ermöglichen, die aufgrund einer fehlerhaften Auswertung elektronisch übermittelter Daten ergangen sind.

Weiter sind sie der Ansicht, dass der Anwendungsbereich des § 175b AO zu sehr ausgedehnt würde, wenn er sämtliche Fälle einer unrichtigen Bearbeitung seitens der Finanzverwaltung umfasst. Die Korrekturmöglichkeit umfasse nicht die Fälle, in denen seitens der Steuerpflichtigen und des Dritten korrekte Angaben gemacht worden sind, diese allerdings durch die Finanzbehörde steuerlich falsch bewertet worden sind.

BFH lässt Änderung des Steuerbscheids nach § 175b AO zu

Der BFH teilt die Auffassung der Kläger allerdings nicht (Urteil v. 20.02.2024, IX R 20/23).

Die von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelten Daten im Sinne des § 93c AO müssen bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt worden sein. Nicht berücksichtigt sind übermittelte Daten, wenn sie nicht ausgewertet oder verarbeitet wurden und damit nicht Eingang in die Steuerfestsetzung gefunden haben.

Nicht zutreffend berücksichtigt sind die übermittelten Daten, wenn die Auswertung oder Verarbeitung fehlerhaft erfolgte. Unerheblich ist dabei, worauf die unzutreffende Berücksichtigung der übermittelten Daten durch die Finanzbehörde zurückzuführen ist. Es kommt weder auf eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen, einen Schreib- oder Rechenfehler des Steuerpflichtigen noch auf ein mechanisches Versehen der Finanzbehörde nach § 129 AO oder einen Fehler der Finanzbehörde bei der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung an.

Das mit der Einführung des § 175b AO vom Gesetzgeber verfolgte Ziel bestand ausweislich der Gesetzesbegründung vornehmlich darin, der Finanzverwaltung in steuerlichen Massenverfahren eine Änderungsbefugnis einzuräumen, obwohl der von Dritten übermittelte Datensatz keinen (verbindlichen) Grundlagenbescheid darstellt und die bereits geltenden Änderungsnormen nicht einschlägig sind. Auf die Ursache der fehlerhaften Berücksichtigung der übermittelten Daten soll es nach der Gesetzesbegründung nicht ankommen.

Aufgrund dieser Grundsätze kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass das Finanzamt ändern durfte. Die Lohnsteuerbescheinigung wurde vollständig und zutreffend übermittelt. Das Finanzamt habe jedoch nicht die steuerlich zutreffenden Schlüsse gezogen. Das Finanzamt sei bei einer fehlerhaften Berücksichtigung elektronisch übermittelter Daten zur Änderung nach § 175b AO verpflichtet. Die Änderung eines Einkommensteuerbescheids sei dabei auch dann zulässig, wenn die unzutreffende Berücksichtigung der von einem Dritten übermittelten Daten auf einen Fehler der Finanzbehörde zurückzuführen ist


Schlagworte zum Thema:  Abgabenordnung, Steuerbescheid