Leitsatz
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Steuerpflichtige beim Abschluss einer privaten Rentenversicherung mit Einkunftserzielungsabsicht gehandelt hat, sind in die hiernach gebotene Prognose der insgesamt anfallenden steuerpflichtigen Einnahmen auch solche künftigen Rentenzahlungen einzubeziehen, die nach dem wahrscheinlichen Verlauf der Dinge nach dem Tod des Versicherungsnehmers an dessen Ehegatten als Hinterbliebenenrente ausgezahlt werden.
Normenkette
§ 2 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG
Sachverhalt
Der Kläger erwarb Ende 1992 gegen fremdfinanzierten Einmalbeitrag den Anspruch auf eine sofort beginnende Leibrente, die nach seinem Tod in unveränderter Höhe an seine Ehefrau, die Klägerin, bis an deren Lebensende weiter gezahlt werden sollte. In ihrer Einkommensteuererklärung 1992 machten die klagenden Eheleute einen – vor allem auf den Zinsen für die Refinanzierungsdarlehen beruhenden – Werbungskostenüberschuss bei den Einkünften des Ehemanns aus der Leibrente geltend, dessen Abzug das Finanzamt mangels Vorhandenseins einer Überschusserzielungsabsicht versagte. Das Finanzamt meinte dabei, dass die nach dem wahrscheinlichen Vorversterben des Ehemanns voraussichtlich von der Ehefrau erzielten Renteneinnahmen im Rahmen der Überschussprognose außer Betracht bleiben müssten.
Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt (vgl. EFG 2002, 840). Mit dem angefochtenen Zwischenurteil stellte es fest, dass der Kläger die erforderliche Überschusserzielungsabsicht verfolgt habe. In die voraussichtlichen Renteneinnahmen seien auch die der überlebenden Ehefrau wahrscheinlich zufließenden Rentenbeträge einzubeziehen. Der BFH bestätigte die Vorentscheidung.
Entscheidung
Der Zeitraum, für den die Überschussprognose durchzuführen sei, entspreche bei den Einkünften aus Leibrenten regelmäßig der Gesamtdauer der Vermögensnutzung. Maßgebend seien allein die bei Vertragsschluss erkennbaren Verhältnisse, weil sich der Rentenberechtigte bereits in diesem Zeitpunkt endgültig gebunden habe. In die Überschussprognose seien auch diejenigen steuerpflichtigen Renteneinnahmen einzubeziehen, die voraussichtlich der Klägerin nach dem Tod des Klägers zufließen würden. Denn Überschussprognosen beruhten in weitaus größerem Umfang als förmliche Steuerfestsetzungen auf wirtschaftlichen Überlegungen und Wahrscheinlichkeitserwägungen.
Bei wirtschaftlicher Betrachtung der sich im Streitfall wahrscheinlich ergebenden wirtschaftlichen Entwicklung würden aber voraussichtlich Einnahmen aus der Hinterbliebenenrente zufließen und der Einkommensbesteuerung unterliegen. Auch diese Einnahmen hätten ihre Grundlage in dem vom Kläger abgeschlossenen Rentenvertrag und seien durch den vom Kläger gezahlten Einmalbeitrag mit erworben. Ohne die Hinterbliebenenversorgung wäre entweder (bei unveränderter Höhe des Einmalbeitrags) die an den Kläger zu zahlende Leibrente höher ausgefallen, was seine steuerpflichtigen Einnahmen erhöht hätte, oder der Einmalbeitrag wäre (bei unveränderter Höhe der monatlichen Rentenzahlung) geringer ausgefallen, womit sich auch die Finanzierungskosten im selben Verhältnis vermindert hätten.
Hinweis
Mit der im Besprechungsurteil vorgenommenen subjekt-übergreifenden Totalüberschussprognose hat der BFH die bislang von der Finanzverwaltung (vgl. Verfügungen der OFD Kiel vom 4.10.2000, FR 2001, 323, und der OFD Hannover vom 16.4.2002, FR 2002, 851) vertretene differenzierende Auffassung abgelehnt, wonach unterschieden werden soll zwischen der Vereinbarung von Hinterbliebenenrenten einerseits (keine Einbeziehung der Zahlungen an den überlebenden Ehegatten) und andererseits Verträgen, bei denen beide Ehegatten Versicherungsnehmer sind (Einbeziehung der Zahlungen an den überlebenden Ehegatten), bzw. Verträgen, bei denen die Rentenzahlungen nicht vom Leben des Versicherungsnehmers, sondern einer dritten Person abhängig sind und nach dem Tod des Versicherungsnehmers weiterhin an dessen Erben erbracht werden sollen (Einbeziehung der Zahlungen an den Erben).
Für die Richtigkeit der im Besprechungsurteil befürworteten Ansicht spricht vor allem, dass der BFH auch in anderen Konstellationen eine subjektübergreifende Totalüberschuss- bzw. Totalgewinnprognose befürwortet hat, namentlich bei den sog. Generationenbetrieben in der Land- und Forstwirtschaft (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 24.8. 2000, IV R 46/99, BStBl II 2000, 674) und bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 6.11.2001, IX R 97/00, BFH-PR 2002, 129).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.9.2004, X R 29/02