Dr. Fabian Schmitz-Herscheidt
Leitsatz
1. Dem Unternehmen dienende Gegenstände im Sinne von § 74 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung sind solche, die für die Führung des Betriebs und die Erzielung steuerbarer Umsätze von wesentlicher Bedeutung sind.
2. Für das Kriterium der wesentlichen Bedeutung der Gegenstände für die Führung des Betriebs und die Erzielung steuerbarer Umsätze sind keine weiteren Voraussetzungen – etwa Gewinnerzielung – oder Anforderungen an die Art der betrieblichen Verwendung der Gegenstände zu verlangen. Vielmehr sind die Gründe für die wesentliche Bedeutung unerheblich.
Normenkette
§ 74 Abs. 1 Satz 1, § 191 Abs. 1 Satz 1 AO
Sachverhalt
Die Klägerin verpachtete an die X‐Gesellschaft, an der sie zu 50 % beteiligt war, in ihrem Eigentum stehendes Sachanlagevermögen. Aufgrund eines Betriebspachtvertrags verpachtete die X-Gesellschaft sodann ihren gesamten Betrieb an die Y‐Gesellschaft. Als Pachtzins erhielt die X‐Gesellschaft eine Erstattung aller Aufwendungen, darin u. a. auch die Pachtzinszahlungen an die Klägerin.
Durch einen weiteren Vertrag, einen sog. Betriebsführungsvertrag, übertrug die Y‐Gesellschaft der X‐Gesellschaft die Betriebsführung für den gepachteten Betrieb. Die Y‐Gesellschaft erstattete der X‐Gesellschaft alle Aufwendungen aus der Betriebsführung, was insbesondere die Löhne der Mitarbeiter (zzgl. USt) umfasste.
Über das Vermögen der X- und der Y-Gesellschaft wurden Insolvenzverfahren eröffnet. Es verblieben Umsatzsteuerforderungen des FA gegenüber der X-Gesellschaft. Hierfür nahm das FA die Klägerin gemäß § 74 AO in Haftung, und zwar dinglich beschränkt auf die der X‐Gesellschaft überlassenen Grundstücke.
Die Klägerin wandte ein, die Grundstücksverpachtung sei nur der Y‐Gesellschaft nützlich gewesen. Zudem meinte sie, unter Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise hätten die verpachteten Grundstücke nicht dem Unternehmen der X‐Gesellschaft gedient, da es sich bei ihr nur um eine "Zwischenmieterin" ohne eigenes wirtschaftliches Interesse gehandelt habe.
Das FG wies die Klage ab (Niedersächsisches FG, Urteil vom 15.7.2021, 11 K 14151/15, Haufe-Index XXXXXX).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Die Einwendungen der Klägerin hielt er unter Berücksichtigung der von ihm aufgestellten Maßstäbe für unbeachtlich.
Hinweis
1. Ein Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 AO kann auf § 74 AO gestützt werden, der die Haftung des Eigentümers von Gegenständen betrifft.
Gehören Gegenstände, die einem Unternehmen dienen, nicht dem Unternehmer, sondern einer an dem Unternehmen wesentlich beteiligten Person, so haftet der Eigentümer der Gegenstände gem. § 74 Abs. 1 Satz 1 AO mit diesen für diejenigen Steuern des Unternehmens, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet.
2. Der BFH befasste sich ausführlich mit dem Begriff des "Dienens" i. S. d. § 74 Abs. 1 Satz 1 AO.
a) Dem Unternehmen dienende Gegenstände i. S. d. § 74 Abs. 1 Satz 1 AO sind solche, die für die Führung des Betriebs und die Erzielung steuerbarer Umsätze von wesentlicher Bedeutung sind (BFH, Urteil vom 10.11.1983, V R 18/79, BStBl II 1984, 127).
b) Für das Kriterium der wesentlichen Bedeutung der Gegenstände für die Führung des Betriebs und die Erzielung steuerbarer Umsätze hat die Rechtsprechung keine weiteren Voraussetzungen – etwa die Erzielung von Gewinnen – oder Anforderungen an die Art der betrieblichen Verwendung der Gegenstände aufgestellt. Vielmehr sind die Gründe für die wesentliche Bedeutung unerheblich (vgl. Klein/Rüsken, AO, 17. Aufl., § 74 Rz 8). Es genügt, dass hiermit der Betrieb geführt und steuerbare Umsätze erzielt werden. Auch eine Eigenschaft als wesentliche Betriebsgrundlage ist nicht zu fordern (vgl. Rz. 23 im Besprechungsbeschluss).
c) Dies entspricht dem Haftungsgrund des § 74 AO, der als eine echte Ausfallhaftung zu verstehen ist, die an eine wesentliche Unternehmensbeteiligung und an die Gebrauchsüberlassung eines bestimmten Gegenstandes anknüpft (BFH, Urteil vom 23.5.2012, VII R 28/10, BFH/NV 2012, 1509, Rz 12).
3. Nach Maßgabe dieser Grundsätze "dienten" i. S. d. § 74 Abs. 1 Satz 1 AO im Streitfall bestimmte Gegenstände, welche die Klägerin als Eigentümerin an die X‐Gesellschaft verpachtet hatte, deren Unternehmen, und zwar im Hinblick auf zwei abgeschlossene Verträge (Betriebspacht- und Betriebsführungsvertrag).
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 6.8.2024 – VII R 25/21