Sachverhalt
Das belgische Vorabentscheidungsersuchen betraf die Vereinbarkeit einer belgischen Sonderregelung zur Erhebung von Mehrwertsteuer bei Tabakwaren mit Art. 11 Teil C Abs. 1 (jetzt Art. 90 MwStSystRL) sowie Art. 27 Abs. 1 und 5 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 395 Abs. 1 und Art. 394 MwStSystRL).
Nach belgischem Recht wird die Mehrwertsteuer bei Tabakwaren vom Schuldner der Verbrauchsteuer, also dem Importeur oder Hersteller der Tabakwaren, einmalig im Rahmen der Lieferung von Steuerbanderolen an ihn erhoben. Die so erhobene Mehrwertsteuer ist nicht als Vorsteuer abzugsfähig. Bei allen nachfolgenden Lieferungen der Tabakwaren wird keine Mehrwertsteuer mehr erhoben. Die Rechnungen dürfen in diesen Fällen keine ausgewiesene Mehrwertsteuer, sondern nur den Hinweis enthalten, dass die Mehrwertsteuer "an der Quelle" abgeführt und nicht vorsteuerabzugsfähig sei. Belgien macht mit dieser Regelung von Art. 27 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie (jetzt Art. 394 MwStSystRL) Gebrauch. Danach können die Mitgliedstaaten Sondermaßnahmen zur Vereinfachung der Steuererhebung oder zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, die sie am 1.1.1977 angewandt haben, aufrechterhalten. Diese Sonderregelungen mussten der EU-Kommission vor dem 1.1.1978 mitgeteilt werden.
Im Ausgangsverfahren machte der Kläger, ein Großhändler von Tabakwaren, der aufgrund seiner Lieferungen keine Mehrwertsteuer abführen musste, eine Erstattung von Mehrwertsteuer aufgrund der Uneinbringlichkeit einer Entgeltforderung aus einer Lieferung von Tabakwaren an einer Abnehmer geltend. Er berief sich darauf, dass auch seine Lieferung wirtschaftlich mit Mehrwertsteuer belastet gewesen sei.
Das Vorlagegericht stellte dem EuGH die Frage, ob die belgische Sonderregelung für die Erhebung der Mehrwertsteuer bei Tabakwaren und die Verweigerung der Erstattung von Mehrwertsteuer durch die belgische Steuerverwaltung durch Art. 27 und Art. 11 Teil C Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie gedeckt sei.
Im vorliegenden Fall hat die Regelung, die die Erhebung der Mehrwertsteuer mittels Steuerbanderolen gestattet, ebenso wie die niederländische Regelung, um die es in dem EuGH-Urteil vom 15.6.2006 (EuGH, Urteil v. 15.6.2006, C-494/04 (Heintz van Landewijck) ging, den Zweck, Hinterziehungen und Missbrauch zu verhindern sowie die Steuererhebung zu vereinfachen. Die Mehrwertsteuer wird zum gleichen Zeitpunkt wie die Verbrauchsteuern erhoben, bevor der Steuertatbestand i.S. von Art. 63 MwStSystRL eintritt.
Entscheidung
Der EuGH hat entschieden, dass die belgische Regelung Art. 27 und Art. 11 Teil C Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie nicht entgegen steht. Er begründet dies damit, dass Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie nur solche Maßnahmen nicht zulässt, die den Betrag der auf der Stufe des Endverbrauchs fälligen Steuer in nicht unerheblichem Maße beeinflussen. Die Auswirkungen auf einen einzelnen Steuerpflichtigen sind grundsätzlich unerheblich.
Der Kläger hatte noch argumentiert, die Sonderregelung dürfe keine Auswirkungen auf andere Regelungen, wie die Berichtigungsmöglichkeit der Steuer bei Uneinbringlichkeit des Entgelts haben. Er erleide in diesem Fall genau den gleichen Schaden, wie ein Unternehmer, auf dessen Lieferung das Mehrwertsteuersystem mit Vorsteuerabzug angewendet werde, da im Rahmen der belgischen Sonderregelung jedes Zwischenglied in der Lieferkette die Mehrwertsteuer trage, die in dem an seinen Tabakwarenlieferanten gezahlten Preis enthalten sei.
Dieses Argument hat der EuGH nicht gelten lassen. Es ist nach dem Urteil unerheblich, ob der Mehrwertsteuerbetrag, der an der Quelle vom Hersteller oder Importeur mittels Steuerbanderolen entrichtet worden ist, wirtschaftlich betrachtet im Preis der an die Zwischenlieferanten erbrachten Lieferungen enthalten ist. Dies ändere nichts daran, dass nach der Sonderregelung auf den folgenden Lieferstufen keine Mehrwertsteuer mehr erhoben wird und folglich der Kläger als Zwischenlieferant nicht Steuerschuldner seiner Lieferung wird und demzufolge der Fiskus ihm keinen Rückforderungsanspruch anerkennen kann.
Das EuGH-Urteil ist - auch im Hinblick auf den Verbrauchsteuercharakter der Mehrwertsteuer - folgerichtig. Im Falle einer Rückerstattung käme es zu einem unversteuerten Letztverbrauch, wenn die gelieferten Tabakwaren trotz Insolvenz des Abnehmers des Klägers in den Endverbrauch gelangen. Der Abnehmer könnte aufgrund seiner Zahlungsunfähigkeit ja auch keinen fiktiven Vorsteuerabzug mehr korrigieren.
Hinweis
Das Urteil hat keine Auswirkungen auf das deutsche Umsatzsteuerrecht. Das deutsche Recht kennt keine der belgischen vergleichbare Sonderregelung für die Erhebung von Mehrwertsteuer bei Tabakwaren oder anderen Leistungsgegenständen. Es sind auch keine anderen Konstellationen erkennbar, bei denen sich in den Fällen der Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 UStG (Uneinbringlichkeit des Entgelts) die Frage nach der Erstattung bloß wirtschaftlich im Entgelt enthaltener Umsatzsteuer stellt.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom...