Leitsatz
Ein angestellter Chefarzt bezieht mit den Einnahmen aus dem ihm eingeräumten Liquidationsrecht für die gesondert berechenbaren wahlärztlichen Leistungen i.d.R. Arbeitslohn, wenn die wahlärztlichen Leistungen innerhalb des Dienstverhältnisses erbracht werden.
Normenkette
§ 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO
Sachverhalt
Der Kläger hatte als Chefarzt eines Krankenhauses alle Patienten seiner Abteilung zu behandeln. Er war in seiner ärztlichen Verantwortung unabhängig, im Übrigen aber weisungsgebunden und zur Zusammenarbeit mit dem gesamten Krankenhauspersonal verpflichtet. Seine ärztlichen Leistungen waren im Krankenhaus mit dessen Geräten und Einrichtungen zu bewirken.
Der Kläger bezog neben seiner Grundvergütung nach BAT Honorare für Gutachten sowie Vergütungen im Rahmen des Liquidationsrecht für wahlärztliche Leistungen. Aus einer genehmigten Sprechstundentätigkeit bezog er ferner Einkünfte aus selbstständiger Arbeit.
Die Honorare aus dem Liquidationsrecht zog das Krankenhaus gegen eine Gebühr von 5 % ein; eine Gewährleistung u.a. für die Höhe und den Eingang der Einnahmen übernahm das Krankenhaus nicht. Die nachgeordneten Ärzte waren mit 20 % an den Liquidationserlösen beteiligt. Der Kläger hatte ein Nutzungsentgelt an das Krankenhaus zu entrichten. Die Vereinbarungen über die Gewährung von Wahlleistungen trafen die Patienten nur mit dem Krankenhaus.
Nach einer LSt-Außenprüfung behandelte das Krankenhaus die Honorare aus dem Liquidationsrecht als Arbeitslohn und führte LSt ab. Der Einspruch des Klägers gegen die LSt-Anmeldung des Krankenhauses blieb – ebenso wie die Klage – erfolglos.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung. In der Sache habe das FG die für und gegen das Arbeitsverhältnis sprechenden Merkmale sorgfältig gewichtet und gegeneinander abgewogen. Der Kläger sei hinsichtlich der Erbringung der wahlärztlichen Leistungen in den geschäftlichen Organismus des Krankenhauses eingebunden. Der Kläger habe nur eine begrenzte Möglichkeit, den Umfang seiner wahlärztlichen Leistungen zu bestimmen (Unternehmerinitiative). Das Risiko eines Forderungsausfalls sei als gering einzustufen. Die Wertung des FG, den Kläger für den Bereich der wahlärztlichen Tätigkeit als Arbeitnehmer anzusehen, sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Hinweis
1. In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat der VI. Senat seine (neuere) Rechtsprechung wiederholt, dass ein Steuerpflichtiger die Lohnsteuer-Anmeldung seines Arbeitgebers – soweit sie ihn betrifft – aus eigenem Recht anfechten kann. Auf die Besprechung des Urteils vom 20.7.2005, VI R 165/01, BFH-PR 2005, 448 wird Bezug genommen.
2. Nach Ergehen des ESt-Bescheids ist eine derartige Klage zwar in der Hauptsache erledigt; das Verfahren kann aber fortgeführt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der LSt-Anmeldung hat (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO); dies trifft insbesondere dann zu, wenn der Streitpunkt auch für künftige LSt-Anmeldungen von Bedeutung ist.
3. In der Sache ging es um die Frage, ob ein bei einem Krankenhaus angestellter Chefarzt hinsichtlich seiner Einnahmen aus dem Liquidationsrecht für gesondert berechenbare wahlärztliche Leistungen Arbeitslohn bezieht, von dem der Arbeitgeber LSt einzubehalten und abzuführen hat. Der BFH hat diese Frage im Streitfall bejaht.
4. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BFH, dass der Arbeitnehmerbegriff sich nicht durch Aufzählung feststehender Merkmale abschließend bestimmen lässt. Das Gesetz bedient sich nicht eines tatbestandlich scharf umrissenen Begriffs. Vielmehr stellt der Begriff des Arbeitnehmers einen offenen Typus dar, der nur durch eine größere und unbestimmte Zahl von Merkmalen beschrieben werden kann.
Die Frage, ob jemand eine Tätigkeit selbstständig oder nichtselbstständig ausübt, ist deshalb anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Hierzu hat der BFH im Urteil vom 14.6.1985, VI R 150 – 152/82 (BStBl II 1985, 661; vgl. auch H 67 Arbeitnehmer-LStH) zahlreiche Kriterien (Indizien) beispielhaft aufgeführt, die für die bezeichnete Abgrenzung Bedeutung haben können. Diese Merkmale sind im konkreten Einzelfall jeweils zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Diese Aufgabe obliegt nach ständiger Rechtsprechung in erster Linie den FG als Tatsacheninstanz. Dies heißt auch, dass die im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 5.10.2005, VI R 152/01