Leitsatz
1. Rohre sind Unterlegscheiben nicht ähnlich, auch wenn sie z.B. im Windanlagenbau als "Dehnhülsen" in einer Schraubverbindung verwendet werden sollen.
2. Der Verwendungszweck einer Ware kann ein objektives Einreihungskriterium sein, sofern er sich aus der Natur des Erzeugnisses ergibt bzw. der Ware innewohnt und wenn im Wortlaut der Bestimmungen oder in den Erläuterungen auf den Verwendungszweck Bezug genommen wird.
Normenkette
Pos. 7304, Pos. 7318 KN (= Kombinierte Nomenklatur)
Sachverhalt
Die Klägerin beantragte die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (vZTA) für unterschiedlich lange sog. Dehnhülsen mit dem Vorschlag der Einreihung in die Unterpos. 7326 90 98 KN ("andere Waren aus Eisen oder Stahl").
Es handelt sich bei diesen Waren um Rohre unterschiedlicher Länge für den speziellen Einsatz in Windkraftanlagen, die für das Verschrauben von Teilen solcher Anlagen verwendet werden. Durch den Einsatz dieser Dehnhülsen können längere Dehnschrauben eingesetzt werden, weil dadurch eine maximale Vorspannkraft und Elastizität ausgeschöpft werden kann.
Das HZA reihte einen Teil dieser Waren in die zur Pos. 7304 KN "Rohre und Hohlprofile, nahtlos, aus Eisen (ausgenommen Gusseisen) oder Stahl" gehörende Unterpos. 7304 39 92 KN ein.
Auf die erhobene Klage verpflichtete das FG das HZA, eine vZTA zu erteilen, mit der die streitgegenständlichen Waren in die Unterpos. 7318 29 00 KN eingereiht werden. Die langen Dehnhülsen seien zwar Rohre i.S.d. Unterpos. 7304 39 92 KN, jedoch auch den in der Unterpos. 7318 29 00 KN genannten Waren, insbesondere den Unterlegscheiben, ähnlich und damit gemäß den Erläuterungen zum Harmonisierten System aus der Pos. 7304 KN ausgewiesen. Im Übrigen führe auch die AV wegen der genaueren Warenbezeichnung zu einem Vorrang der Einreihung in die Pos. 7318 KN (FG Hamburg, Urteil vom 18.7.2014, 4 K 183/12, Haufe-Index 7225141).
Entscheidung
Aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen hat der BFH auf die Revision des HZA die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Hinweis
Zolltarifliche Entscheidungen sind selten grundsätzlicher Natur, sondern haben meist nur für den Einzelfall Bedeutung. Der Streitfall ist eine Ausnahme, weil es – zwar nicht zum ersten Mal, aber zur Verdeutlichung – notwendig war klarzustellen, dass grundsätzlich nur die objektive Beschaffenheit einer Ware für ihre zolltarifliche Einreihung maßgebend ist.
Die Art ihrer Verwendung ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich insoweit auf die EuGH-Rechtsprechung stützt, nur von Bedeutung, wenn im Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen oder in den tariflichen Erläuterungen auf den Verwendungszweck Bezug genommen wird und sofern ein bestimmter Verwendungszweck der Ware innewohnt, was wiederum anhand der objektiven Merkmale und Eigenschaften des Erzeugnisses zu beurteilen ist. Auch Umstände des Vertriebs, die Beschreibung in Verkaufs- oder Herstellerprospekten, der Umfang der tatsächlichen Verwendung und die Bezeichnung im Handelsverkehr sind keine Kriterien, die für die Einreihung einer Ware eine Rolle spielen.
Im Streitfall handelte es sich bei den zu tarifierenden Waren nach objektiver Beschaffenheit um Rohre aus Eisen oder Stahl in unterschiedlicher Länge, also um Waren der Pos. 7304 KN. Anders als das FG geurteilt hatte, kam die Einreihung (auch) in eine andere Position nicht in Betracht. Es bestand also keine tarifliche Konkurrenz, die nach den allgemeinen Vorschriften zur Auslegung der KN (AV) aufzulösen gewesen wäre
Für die nach Ansicht des FG in Betracht kommende Unterpos. 7318 29 00 KN hätte es sich um Waren aus Eisen oder Stahl handeln müssen, die Schrauben, Bolzen, Muttern (…), Unterlegscheiben (einschließlich Federringen und -scheiben) ohne Gewinde ähnlich sind. Diese Voraussetzungen hatte das FG bejaht, weil durch die streitigen Waren (sog. Dehnhülsen) bei zweckentsprechender Verwendung, nämlich bei der Konstruktion von Windkraftanlagen, eine Schraube durchgeführt werde und sie damit ein typischer Bestandteil eines Verbindungssystems auf der Basis einer Dehnschraube seien, weshalb sie bei entsprechender Verwendung eine ähnliche Funktion hätten wie eine Unterlegscheibe.
Der BFH ist dieser Auffassung unter Hinweis auf die o.g. Rechtsprechung zur tariflichen Bedeutung des Verwendungszwecks einer Ware nicht gefolgt. Nach den tatsächlichen Feststellungen sei es nicht erkennbar, in welchen objektiven Eigenschaften und Merkmalen der streitigen Waren sich ihr besonderer Verwendungszweck als Dehnhülsen in Windkraftanlagen niederschlage. Allein daraus, dass ein Rohr "verwendungsspezifisch abgelängt" werde, d.h. eine bestimmte Länge habe, folge weder eine Verarbeitung zu noch eine Ähnlichkeit mit einer anderen Ware.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.11.2016 – VII R 9/15