BMF, Schreiben v. 18.9.2019, III C 2 - S 7107/15/10006 :003, BStBl I 2019, 921
EuGH-Rs. C-174/14, Saudaçor
Mit Urteil vom 29.10.2015 (EuGH-Rs. C-174/14, Saudaçor) hat der EuGH über eine Tätigkeit entschieden, die darin besteht, dass eine Gesellschaft an eine Region gemäß Programm-Verträgen, die sie mit ihr geschlossen hat, Dienstleistungen im Bereich der Planung und Verwaltung des regionalen Gesundheitsdienstes erbringt. Vorausgesetzt, dass die Tätigkeit als wirtschaftlich im Sinne von Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL anzusehen ist, wird sie von Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL als nicht mehrwertsteuerpflichtig erfasst, wenn diese Gesellschaft als Einrichtung des öffentlichen Rechts einzustufen ist und wenn sie die betreffende Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübt. Zudem darf eine Behandlung der Tätigkeit als nichtsteuerbar nicht geeignet sein, zu größeren Wettbewerbsverzerrungen zu führen.
In diesem Zusammenhang ist der Begriff der sonstigen Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL nicht unter Heranziehung der Definition des Begriffs der Einrichtung des öffentlichen Rechts in Art. 1 Abs. 9 der Richtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge auszulegen (Vergaberichtlinie).
In dem Urteil vom 22.2.2018, C-182/17, Ntp. Nagyszénás, entschied der EuGH, dass Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL dahin auszulegen sei, dass – vorbehaltlich einer Überprüfung der relevanten tatsächlichen Umstände und des relevanten nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht – eine Tätigkeit, die darin bestehe, dass ein Unternehmen aufgrund eines Vertrags zwischen ihm und einer Gemeinde bestimmte öffentliche Aufgaben wahrnimmt, nicht von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Regel der Behandlung als nicht mehrwertsteuerpflichtig erfasst werde, wenn es sich bei dieser Tätigkeit um eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie handelt.
Der Bundesfinanzhof hat die Entscheidungen des EuGH aufgegriffen. In seinem Beschluss vom 21.3.2018, XI B 113/17, führt er aus:
„Die […] aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Umstand, dass eine Leistung von einem privaten Unternehmer ausgeführt wird, dessen Qualifizierung als öffentliche Einrichtung (i.S. des Art. 13 MwStSystRL) ausschließt, ist durch die Rechtsprechung des […] EuGH […] geklärt. Der EuGH hat entschieden, dass eine juristische Person des Privatrechts zwar unter weiteren Voraussetzungen eine Einrichtung des öffentlichen Rechts sein kann, aber eine Tätigkeit, die darin besteht, dass eine GmbH als juristische Person des Privatrechts aufgrund eines Vertrags zwischen ihr und einer Gemeinde bestimmte öffentliche Aufgaben wahrnimmt, nicht von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Regel der Behandlung als nicht mehrwertsteuerpflichtig erfasst wird (vgl. EuGH-Urteile Saudaçor vom 29.10.2015 C-174/14, EU:C:2015:733 […]; Ntp. Nagyszénás vom 22.2.2018 C-182/17, EU:C:2018:91). Eine Person, die […] der öffentlichen Gewalt vorbehaltene Handlungen vornimmt, dies aber in Unabhängigkeit tut, ohne in die Organisation der öffentlichen Verwaltung eingegliedert zu sein, ist nicht als Einrichtung des öffentlichen Rechts anzusehen, so dass ihr die Bestimmung des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Richtlinie 77/388/EWG – (jetzt: Art. 13 MwStSystRL) nicht zugutekommen kann [mit weiteren Nachweisen].
Durch diese Entscheidungen ist auch geklärt, dass alleine die Übertragung einer Aufgabe […] nicht eine Eingliederung in die öffentliche Verwaltung bewirkt; denn die Eigenschaft als „Einrichtung des öffentlichen Rechts” kann nicht allein dadurch begründet werden, dass die in Rede stehende Tätigkeit in der Vornahme von der öffentlichen Gewalt vorbehaltenen Handlungen besteht (vgl. EuGH-Urteil Saudaçor, EU:C:2015:733 […]).” Vielmehr müsse eine Eingliederung in die öffentliche Verwaltung ebenso bestehen.
In seiner Entscheidung vom 2.12.2015, V R 67/14, BStBl 2017 II S. 560 führt der BFH aus, dass der EuGH es im Urteil Saudaçor (C-174/14) für möglich gehalten habe, dass eine Aktiengesellschaft als Einrichtung des öffentlichen Rechts angesehen werden könne, für die Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL gelte. Dies erfordere aber auch nach der Auffassung des EuGH, dass die Aktiengesellschaft „im Rahmen der öffentlichen Gewalt handelt” (EuGH-Urteil Saudaçor, C-174/14, Rz 69). Hierfür müssten Tätigkeiten vorliegen, die von den Einrichtungen des öffentlichen Rechts „im Rahmen der ihnen eigenen rechtlichen Regelung” ausgeübt werden. Nicht dazu gehörten Tätigkeiten, die sie unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer. Der EuGH habe auch klargestellt, dass der Gegenstand oder der Zweck der Tätigkeit insoweit unerheblich seien und dass die Tatsache, dass die Ausübung der in Rede s...