Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Für die elektronische Übermittlung von Vollmachtsdaten an die Finanzbehörden sind zwingend die amtlich bestimmten Formulare zu verwenden.
2. Das im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 01.08.2016 (BStBl I 2016, 662, Anlage 3) enthaltene "Beiblatt zur Vollmacht zur Vertretung in Steuersachen" ist nicht Bestandteil des amtlich bestimmten Formulars. Seine Verwendung ist nicht Voraussetzung für die elektronische Übermittlung von Vollmachtsdaten an die Finanzbehörden für die Grunderwerbsteuer.
Normenkette
§ 80 Abs. 5 Satz 4, § 80a Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 122 Abs. 1 Satz 4 AO
Sachverhalt
Der Kläger bevollmächtigte am 28.7.2015 seine Steuerberaterin, ihn in allen steuerlichen und sonstigen Angelegenheiten i.S.d. § 1 StBerG zu vertreten, indem er das amtliche Muster "Vollmacht zur Vertretung in Steuersachen" unterzeichnete. Die Vollmacht erstreckte sich auch auf die Entgegennahme von Steuerbescheiden und sonstigen Verwaltungsakten (Bekanntgabevollmacht). Auf dem Formular, gemäß dessen Fußnote 3 die Steuernummern des Vollmachtgebers in der Vollmachtsdatenbank zu erfassen waren, war hinter der Steueridentifikationsnummer eine die ESt betreffende Steuernummer des Klägers angegeben. Unter der Zeile "Diese Vollmacht gilt nicht für:" war keine Steuerart angekreuzt. Das im BMF-Schreiben vom 1.8.2016, IV A 3 – S 0202/15/10001, BStBl I 2016, 662, Anlage 3, vorgesehene "Beiblatt zur Vollmacht zur Vertretung in Steuersachen" enthielt die Vollmacht nicht.
Die Vollmacht wurde in der Vollmachtsdatenbank hinterlegt und war seit dem 20.6.2017 für das FA abrufbar. Der Umfang der Vollmacht wurde in der Datenbank mit "Steuerarten alle" angezeigt. Neben der Steueridentifikationsnummer des Klägers waren unter anderem das Bestehen einer Empfangsvollmacht und die folgenden "Ordnungskriterien" vermerkt: "Vollmacht gilt aktuell für: [die die Einkommensteuer betreffende Steuernummer]".
Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 4.6.2018 erwarb der Kläger ein Grundstück und eine Photovoltaikanlage zum Preis von insgesamt 550.000 EUR. Bei der GrESt-Festsetzung ging das FA von einer Bemessungsgrundlage von 589.572 EUR aus. Der Bescheid vom 27.6.2018 wurde dem Kläger bekannt gegeben, der ihn am 9.9.2019 seiner Steuerberaterin zuleitete. Diese beantragte mit Schriftsatz vom 12.9.2019 beim FA die Kürzung der Bemessungsgrundlage um 48.572 EUR. Sie trug vor, sie habe den Bescheid erst am 9.9.2019 erhalten.
Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig, da die Einspruchsfrist bereits am 2.8.2018 geendet habe. Der GrESt-Bescheid sei zu Recht dem Kläger bekannt gegeben worden, weil in die übermittelte Empfangsvollmacht keine für die GrESt geltende Steuernummer eingetragen worden sei.
Das FG hat der Klage stattgegeben (FG München, Urteil vom 15.4.2020, 4 K 3055/19, Haufe-Index 14783128).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen. Das FG hat zutreffend erkannt, dass der angefochtene GrESt-Bescheid nicht schon mit der Übersendung an den Kläger, sondern erst mit der Weiterleitung an die Steuerberaterin wirksam bekannt gegeben worden war und der Einspruch deshalb rechtzeitig erfolgte. Das FG hatte auch in der Sache zutreffend entschieden.
Hinweis
1. Das FA hat durch die Bekanntgabe des Bescheids an den Kläger die Vorgaben des § 122 Abs. 1 Satz 4 AO verletzt. Nach § 80 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO kann der Verwaltungsakt auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden. Er soll dem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden, wenn der Finanzbehörde eine schriftliche oder eine nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch übermittelte Empfangsvollmacht vorliegt, solange dem Bevollmächtigten nicht eine Zurückweisung nach § 80 Abs. 7 AO bekannt gegeben worden ist (§ 80 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. § 122 Abs. 1 Satz 4 AO). Im Regelfall bedeutet das "Soll" ein "Muss". Nur beim Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und den Bescheid dem Steuerpflichtigen bekannt geben.
2. Im Streitfall lag dem FA eine nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch übermittelte Vollmacht vor. Diese wies die Steuerberaterin des Klägers als Empfangsbevollmächtigte aus. Der angefochtene Bescheid hätte daher der Steuerberaterin bekannt gegeben werden müssen. Insoweit war das Ermessen des FA auf null reduziert. Die Bekanntgabe des GrESt-Bescheids gegenüber dem Steuerpflichtigen war folglich unwirksam und wurde erst wirksam, als dieser den Bescheid der bevollmächtigten Steuerberaterin übergab. Erst ab diesem Zeitpunkt begann die Einspruchsfrist zu laufen, sodass der Einspruch noch fristgemäß eingelegt wurde.
3. Zu Unrecht hatte sich das FA im vorliegenden Fall darauf berufen, dass in der elektronisch übermittelten Vollmachtserklärung nicht die Steuernummer des Grunderwerbs angegeben worden war. Zwar ist die Verwendung der amtlichen Vollmachtsformulare unabdingbare Voraussetzung für die elektronische Übermittlung von Vollmachtsd...