Leitsatz

Über die Art und Weise der Akteneinsicht hat der Senat und nicht der Vorsitzende Richter des FG zu entscheiden, soweit nicht der ab dem 01.01.2018 gesetzlich geregelte Sonderfall des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 FGO für elektronisch geführte Akten vorliegt.

 

Normenkette

§ 78 FGO

 

Sachverhalt

Der Kläger erhob Klage gegen die Gewerbesteuermessbescheide für die Jahre 2013 bis 2015. Sein Prozessbevollmächtigter beantragte die Vorlage der in Papier geführten Verwaltungsakten, Betriebsprüfungsakten, Rechtsbehelfsakten und Handakten "in einer gängigen elektronischen Form" in entsprechender Anwendung des Art. 15 Abs. 3 Satz 3 der DSGVO.

Der Vorsitzende des FG lehnte den Antrag des Klägers, die dem Gericht vorgelegten Akten des FA in elektronischer Form zur Einsicht zur Verfügung zu stellen, ab. Zur Begründung führte er aus, dass § 78 Abs. 2 FGO nur dann Anwendung finde, wenn die Akten elektronisch geführt werden. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Würden die Prozessakten in Papierform geführt, so werde die Akteneinsicht nach § 78 Abs. 3 Satz 1 FGO durch Einsichtnahme in die Akten in den Diensträumen gewährt. Die Akteneinsicht könne nach § 78 Abs. 3 Satz 2 FGO, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen würden, auch durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf gewährt werden. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da die technische Möglichkeit eines Abrufs von Daten beim FG nicht existiere. Eine anderweitige Form der elektronischen Zurverfügungstellung des Inhalts der in Papierform geführten Akten sehe § 78 Abs. 3 FGO nicht vor. So enthalte die Regelung insbesondere keine dem § 78 Abs. 2 Satz 3 FGO entsprechende Möglichkeit der Übermittlung eines Datenträgers. Wollte man diese Regelung für in Papierform geführte Akten entsprechend anwenden, so stünde die Übermittlung des Datenträgers im Ermessen des Vorsitzenden. Angesichts des Umfangs der Papierakten im vorliegenden Verfahren komme eine Digitalisierung durch Einscannen nicht in Betracht. Ohne Erfolg berufe sich der Kläger auf Art. 15 DSGVO, da diese Vorschrift keine Verpflichtung vorsehe, in Papierform geführte Akten zum Zwecke der Einsichtnahme zu digitalisieren. In der Rechtsmittelbelehrung hat das FG darauf hingewiesen, dass der Beschluss nach § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 FGO unanfechtbar sei.

Das FG hat der hiergegen erhobenen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem BFH zur Entscheidung vorgelegt (FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2.10.2020, 5 K 5093/20).

 

Entscheidung

Der BFH hat der Beschwerde stattgegeben, da der Beschluss formell rechtswidrig war, und die Sache an das FG zurückverwiesen. Der Vorsitzende hätte nicht allein über die Art und Weise der Akteneinsicht in die in Papierform geführten Akten entscheiden dürfen.

 

Hinweis

1. Mit der vorliegenden Entscheidung hat der BFH seine Rechtsprechung zur Entscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht für die Rechtslage ab dem 1.1.2018 geändert. Danach kann über die Art und Weise der Akteneinsicht nur noch der Senat mit drei Berufsrichtern und nicht mehr der Vorsitzende Richter des FG allein entscheiden, soweit nicht der ab dem 1.1.2018 gesetzlich geregelte Sonderfall des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 FGO für elektronisch geführte Akten vorliegt oder gemäß § 6 FGO der Einzelrichter entscheidet.

2. Vorliegend hatte der Vorsitzende verkannt, dass die Regelung des § 78 Abs. 2 FGO nur für die elektronische Akte und nicht für die – im vorliegenden Fall – in Papierform geführte Akte gilt. Die Entscheidung über die Art und Weise der Akteneinsicht stellt keine prozessleitende Verfügung i.S.d. § 128 Abs. 2 FGO dar, sodass eine Beschwerde nicht ausgeschlossen ist. Die nach § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 FGO angeordnete Unanfechtbarkeit der Entscheidung gilt nur für die elektronische Akte, was der Vorsitzende verkannt hatte. Nach dieser Regelung ist die Entscheidung über einen Antrag nach § 78 Abs. 2 Satz 3 FGO auf Übermittlung eines Aktenausdrucks oder eines Datenträgers mit dem Inhalt der Akten unanfechtbar. Vorliegend hat der Kläger seinen Antrag auf Akteneinsicht jedoch nicht auf diese Vorschrift gestützt.

3. Der Vorsitzende hat zudem über den Antrag des Klägers, ihm die in Papierform geführten Prozessakten in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen, verfahrensfehlerhaft allein und nicht nach § 5 Abs. 3 Satz 2 FGO durch den Senat des FG in der Besetzung mit drei Richtern entschieden. Danach war das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt, sodass der Beschluss formell rechtswidrig war.

4. Die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Ablehnung der beantragten Akteneinsicht ist – bis auf die seit dem 1.1.2018 eingeführte Regelung des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 und Satz 6 FGO in Bezug auf die elektronisch geführte Prozessakte – gesetzlich nicht geregelt. Entscheidungen über die Akteneinsicht können danach – soweit nicht am FG gemäß § 6 FGO der Einzelrichter oder bei der elektronischen Akteneinsicht der Vorsitzende nach § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 FGO oder der Berichterstatter nach Satz 6 der Vor...

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