Leitsatz
Es ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn ein FA nach Ergehen eines Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragt und gleichzeitig den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem es einen Abhilfebescheid entsprechend dem Gerichtsbescheid erlassen hat.
Normenkette
§ 90a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 FGO
Sachverhalt
Das FG gab der Klage der Klägerin wegen USt mit Gerichtsbescheid teilweise statt. Das FA habe die Klägerin (zunächst) zu Unrecht nicht als Unternehmer behandelt und den Erlass eines Umsatzsteuerbescheids abgelehnt. Soweit die Klägerin beantragt hatte, das FA zur erklärungsgemäßen Festsetzung der USt zu verpflichten, verwarf das FG die Klage als unzulässig. Das FA hatte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt und gleichzeitig den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, weil es zwischenzeitlich die Klägerin im Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr als Unternehmerin ansehe, deren Erklärung aber im Übrigen nicht folge.
Das FG meinte, der Antrag auf m.V sei missbräuchlich, weil er allein aus kostenrechtlichen Gründen erfolgt sei.
Entscheidung
Der BFH verwies die Sache an das FG zurück, denn weder war – wie das FA meinte – der Rechtsstreit erledigt noch – wie das FG meinte – die Klage mit dem Ziel der erklärungsgemäßen Steuerfestsetzung unzulässig.
a) Erledigt ist ein Rechtsstreit nur, wenn nach Rechtshängigkeit ein Ereignis eintritt, das das gesamte Klagebegehren objektiv gegenstandslos macht. Hält der Kläger dennoch seinen Sachantrag aufrecht – und erklärt nicht auch den Rechtsstreit für erledigt –, ist die Klage unzulässig. Voraussetzung für die Klageabweisung ist allerdings insbesondere die Gewissheit des Gerichts darüber, dass der Rechtsmittelführer seinen Sachantrag aufrechterhält; bei Ungewissheit hierüber hat nach § 76 Abs. 2 FGO der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt oder unklare Anträge erläutert werden.
Hat – wie hier – das FA zunächst den Erlass eines Umsatzsteuerbescheids mangels Unternehmereigenschaft abgelehnt, ist der Rechtsstreit nicht erledigt, wenn es zwar zur USt veranlagt, aber der Erklärung des Unternehmers nicht folgt.
Hinweis
1. Ein Gerichtsbescheid wirkt als Urteil, wenn nicht rechtzeitig mündliche Verhandlung (m.V.) beantragt wird. Wird m.V. beantragt, gilt er als nicht ergangen (§ 90a Abs. 3 FGO). Entsteht Streit über die Frage, ob ein Antrag auf mündliche Verhandlung unzulässig ist, muss hierüber im Klageverfahren durch Urteil entschieden werden.
2. Die Ausübung verfahrensrechtlich zuerkannter Rechte kann in Ausnahmefällen rechtsmissbräuchlich sein. Zum Antrag auf m.V. hat der BFH bereits entschieden, dass ein Antrag auf mündliche Verhandlung auch dann gestellt werden darf, wenn sich der Antragsteller nicht gegen die sachliche Richtigkeit des Gerichtsbescheids wehrt, sondern die Entscheidung tatsächlich annimmt. Deshalb darf ein Kläger nach Ergehen eines Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragen und die Klage zurücknehmen. Ebenso darf ein FA einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen, um der Klage abzuhelfen. Ob die Abhilfe erst im weiteren Verlauf des Verfahrens oder – wie im Streitfall – gleichzeitig mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung erfolgt, spielt keine Rolle.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.3.2006, V R 12/04