Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Arbeitslohn, der für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend geleistet wird, kann als Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nach der sogenannten Fünftelregelung zu besteuern sein, wenn wirtschaftlich vernünftige Gründe für die zusammengeballte Entlohnung vorliegen.
2. Um einmalige (Sonder-)Einkünfte, die für die konkrete Berufstätigkeit unüblich sind und nicht regelmäßig anfallen, muss es sich nicht handeln. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass die Tätigkeit selbst von der regelmäßigen Erwerbstätigkeit abgrenzbar ist oder die in mehreren Veranlagungszeiträumen erdiente Vergütung auf einem besonderen Rechtsgrund beruht, der diese von den laufenden Einkünften unterscheidbar macht.
Normenkette
§ 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 4, § 19 EStG
Sachverhalt
K war Vorstand einer gemeinnützigen, überwiegend spendenfinanzierten Stiftung. K erklärte seine Vergütung als ermäßigt zu besteuernden Arbeitslohn für mehrere Jahre, weil der Lohnzahlungszeitraum ausnahmsweise und mit seinem Einverständnis von 12 auf 14 Monate ausgedehnt wurde. Dadurch sei der monatliche Durchschnittsbetrag seiner Bezüge um mehr als 10 % reduziert worden, um eine möglicherweise unangemessen hohe gemeinnützigkeitsschädliche Vergütung i.S.d. § 55 AO zu vermeiden. Das FA folgte dem nicht; das FG Baden-Württemberg (Außensenate Freiburg, Urteil vom 29.11.2012, 3 K 2109/11) gab der dagegen erhobenen Klage statt.
Entscheidung
Der BFH bestätigte das FG, wie in den Praxis-Hinweisen erläutert.
Hinweis
§ 34 Abs. 1 Satz 1 EStG gewährt auf außerordentliche Einkünfte den Sondertarif nach der "Fünftelregelung" (§ 34 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 EStG). Solche außerordentlichen Einkünfte sind insbesondere Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 1. Halbsatz EStG), nämlich wenn sich die Tätigkeit über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz EStG).
1. Bei Lohneinkünften gelten hinsichtlich § 34 EStG Besonderheiten: Die mehrjährige Tätigkeit muss keine abgrenzbare Sondertätigkeit sein, sich nicht von der regelmäßigen Erwerbstätigkeit unterscheiden und auch nicht auf einem besonderen Rechtsgrund beruhen. Denn bei Lohneinkünften ist jede Vergütung für eine auf mehr als einen Veranlagungszeitraum erstreckende Tätigkeit atypisch zusammengeballt, also "außerordentlich" i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG. Darin unterscheiden sie sich von Einkünften i.S.d. §§ 15, 18 EStG, die neben gleichmäßigen auch zufällige und schwankende Einnahmen enthalten, die letztlich – anders als beim Arbeitnehmer – disponierbar sind (dazu: BFH, Urteil vom 25.2.2014, X R 10/12, BFH/NV 2014, 1259, BFH/PR 2014, 306). § 34 EStG greift daher bei Lohneinkünften zwar nicht schon dann, wenn der Lohn in einem anderen Veranlagungszeitraum als dem zufließt, zu dem er wirtschaftlich gehört und dort mit weiteren Lohneinkünften zusammentrifft. Ausreichend ist aber, wenn die Entlohnung für sich betrachtet zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit ist, also für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet wird (dazu BFH, Urteil vom 7.8.2014, VI R 57/12, BFH/NV 2015, 181 m.w.N.; R 34.4 Abs. 2 EStR). Die mehrjährige Zweckbestimmung kann aus dem Anlass der Zuwendung oder aus den übrigen Umständen folgen; fehlen Hinweise auf den Verwendungszweck, ist die Entgeltsberechnung maßgeblich. Beispiel: die Berechnung einer Arbeitnehmerprämie nicht nach dem Zeitaufwand des Arbeitnehmers, sondern nach der Kostenersparnis des Arbeitgebers (BFH, Urteil vom 16.12.1996, VI R 51/96, BFH/NV 1997, 172). Schließlich sind zur Missbrauchsvermeidung wirtschaftlich vernünftige Gründe erforderlich, die entweder in der Person des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers liegen können, sodass eine willkürliche, wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Zusammenballung allein aus steuerlichen Gründen nicht genügt.
2. Hier hatte das FG festgestellt, dass für die Verlängerung des Lohnzahlungszeitraums wirtschaftlich vernünftige, nämlich aus dem Gemeinnützigkeitsrecht folgende Gründe vorlagen, sodass der Anwendung des § 34 EStG nichts entgegenstand.
3. Der BFH befasste sich hier noch mit den Voraussetzungen der Wiedereröffnung der am 7.5.2015 durchgeführten mündlichen Verhandlung, weil K am 8.5.2015 noch einen Schriftsatz eingereicht hatte. Maßgebender Zeitpunkt dafür ist die Verkündung des Urteils oder seine Herausgabe zur Zustellung (dazu: BFH, Beschluss vom 11.12.2006, IX B 128/06, BFH/NV 2007, 738, m.w.N.). Allerdings war der Vortrag zu den gemeinnützigkeitsrechtlichen Voraussetzungen der Vergütung hier letztlich unerheblich.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 7.5.2015 – VI R 44/13