Sachverhalt
Das belgische Vorabentscheidungsersuchen betraf die Auslegung von Anhang H Kategorie 7 der 6. EG-Richtlinie (jetzt: Anlage III Nr. 7 MwStSystRL). Danach ist in Verbindung mit Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der 6. EG-Richtlinie (jetzt: Art. 98 Abs. 1 und Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL) die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes durch die Mitgliedstaaten zulässig für die "Eintrittsberechtigung für ... Kinos".
Das Vorlagegericht wollte geklärt wissen, ob unter einem solchen Kino auch eine bestimmte Konstellation einer Filmprojektion durch Münzeinwurf in Einzelkabinen zu verstehen ist.
Entscheidung
Der EuGH hat unter Bezug auf seine ständige Rechtsprechung entschieden, dass die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zur Anwendung ermäßigter Steuersätze eng auszulegen sind. Daraus folgt insbesondere, dass die Wendung "Eintrittsberechtigung für Kinos" in Anlage III Nr. 7 MwStSystRL nach ihrer gewöhnlichen Bedeutung auszulegen ist. Die in Anhang III Nr. 7 MwStSystRL genannten Ereignisse und Einrichtungen haben gemeinsam, dass sie der Öffentlichkeit aufgrund vorhergehender Bezahlung eine Eintrittsberechtigung gewähren, die alle zahlenden Personen berechtigt, gemeinsam die diesen Ereignissen und Einrichtungen eigenen kulturellen Leistungen wie auch die ihnen eigene Unterhaltung in Anspruch zu nehmen. Daraus folgert der EuGH, dass die Wendung "Eintrittsberechtigung für Kinos" nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie die Zahlung eines Verbrauchers zu dem Zweck umfasst, allein in einer zur alleinigen Nutzung stehenden Kabine einen oder mehrere Filme oder Filmausschnitte betrachten zu können. Offenbar war für den EuGH entscheidend, dass in der Konstellation des Ausgangsverfahrens der Raum nicht der Öffentlichkeit oder zumindest nicht mehreren Personen gleichzeitig zugänglich war.
Die deutsche Rechtslage ist durch das Urteil nicht betroffen.
Hinweis
Den Mitgliedstaaten wird durch die zitierten Bestimmungen ein Wahlrecht zur Einführung eines ermäßigten Satzes gewährt. Der EuGH hat darüber hinaus bereits festgestellt, dass den Mitgliedstaaten grundsätzlich auch eine nur teilweise Anwendung des Tatbestandes eines ermäßigten Steuersatzes gestattet ist (EuGH, Urteil vom 3. April 2008, C-442/05 (Zweckverband zur Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung Torgau-Westelbien).
Damit bestimmt sich der Anwendungsbereich der Tatbestände des ermäßigten Steuersatzes zunächst allein nach nationalem Recht. Dieser Anwendungsbereich ist lediglich beschränkt durch den gemeinschaftsrechtlichen Tatbestand. Der Gerichtshof konnte mit seiner Entscheidung im vorliegenden Verfahren deshalb nur den Rahmen abstecken, innerhalb dessen sich die Mitgliedstaaten bewegen können.
Auch wenn der EuGH zu der Erkenntnis gelangt wäre, dass die beschriebene Konstellation als "Kino" einzuordnen ist, hätte dies noch nicht zwangsläufig eine entsprechende ermäßigte Besteuerung in Deutschland bedeutet. Denn ob die vom Vorlagegericht beschriebene Konstellation in Deutschland dem ermäßigten Steuersatz unterliegt, wird durch die Auslegung von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b UStG bestimmt. Danach sind die Überlassung von Filmen zur Auswertung und Vorführung sowie die Filmvorführungen begünstigt, wenn die Filme vor dem 1.1.1970 erstaufgeführt wurden. Sind die Filme nach dem 31.12.1969 erstaufgeführt worden, kommt die Begünstigung nur in Betracht, wenn die Filme nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 JÖSchG oder nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 JuSchG vom 23.7.2002 (BGBl. I S. 2730, 2003 I S. 476) in der jeweils geltenden Fassung gekennzeichnet sind. Umsätze nach der Art des Ausgangsverfahrens sind demnach in Deutschland nicht steuerermäßigt.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 18.03.2010, C-3/09