Leitsatz
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 32c Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG in der in den Jahren 1999 und 2000 geltenden Fassung des StEntlG 1999/2000/2002, demzufolge die dem Organträger im Rahmen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft zugerechneten Einkommen oder Einkommensteile nicht in die Tarifbegünstigung einbezogen wurden, mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar war.
Normenkette
Art. 3 Abs. 1 GG , § 32c Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG , § 69 Abs. 3 FGO
Sachverhalt
Ein Kühlmaschinenhersteller hatte sein Unternehmen so strukturiert, dass an der Spitze eine geschäftsleitende Holding in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG stand. Mit zwei hundertprozentigen Tochter-GmbHs hatte die Holding Organschafts- und Gewinnabführungsverträge geschlossen. Im Streitjahr 1999 erwirtschaftete die Holding einen Verlust von ca. 6 Mio. DM, während die Organgesellschaften insgesamt Gewinne von ca. 26 Mio. DM erwirtschafteten.
Das FA rechnete bei der Gewinnfeststellung für die Holding dieser die Gewinne der Organgesellschaften zu, lehnte es aber ab festzustellen, dass das Gesamtergebnis der Tarifermäßigung für gewerbliche Einkünfte nach § 32c EStG unterlag. Dagegen wandte sich die Holding mit einem Einspruch und beantragte zugleich Aussetzung der Vollziehung.
Entscheidung
Nachdem FA und FG den Aussetzungsantrag abgelehnt hatten, gab der BFH dem Antrag dem Grunde nach statt. Es beständen verfassungsrechtliche Zweifel an der ab 1999 geltenden Regelung des § 32c Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG. Die Antragstellerin habe auch ein berechtigtes Interesse an der Aussetzung, welches das allgemeine fiskalische Interesse an der sofortigen Steuerzahlung überwiege. Weil das FG zur Höhe der grundsätzlich tarifbegünstigten Einkünfte keine Feststellungen getroffen hatte, verwies der BFH das Verfahren an das FG zurück.
Hinweis
1. Die Entscheidung hat nur Bedeutung für die Rechtslage bis zum Veranlagungszeitraum 2000. Für Gewinne aus ab 2001 endenden Wirtschaftsjahren gilt § 32c EStG nicht mehr. Er ist durch die pauschale GewSt-Anrechnung nach § 35 EStG abgelöst worden.
2. Mit dem 1994 eingeführten § 32c EStG sollte die GewSt-Belastung gewerblicher Einkünfte von Personenunternehmen dadurch gemildert werden, dass der Spitzensteuersatz bei der ESt gekappt wurde. Diese Tarifvergünstigung gab es nur für den Anteil der gewerblichen Einkünfte am zu versteuernden Einkommen. Als gewerbliche Einkünfte definierte das Gesetz ursprünglich Gewinne und Gewinnanteile, die nach § 7 oder § 8 Nr. 4 GewStG der GewSt unterliegen.
Soweit eine natürliche Person oder Personengesellschaft als Organträger einer körperschaftsteuerlichen Organschaft fungiert, wird ihr das Einkommen der Organgesellschaft unmittelbar zugerechnet. Der Gewinn unterliegt also beim Organträger nicht nur der ESt, sondern auch der GewSt. Deshalb war weitgehend einhellige Auffassung, dass die gesamten Einkünfte des Organträgers tarifbegünstigt seien. Mit dem StEntlG 1999/2000/2002 änderte der Gesetzgeber § 32c EStG und nahm ausdrücklich die dem Organträger zugerechneten Einkommensteile von der Vergünstigung aus. Diese Rechtslage betraf die Veranlagungszeiträume 1999 und 2000.
3. Der BFH hat bereits mit Beschluss vom 24.2.1999, X R 171/96 (BStBl II 1999, 450) das BVerfG angerufen, weil er die Aussparung der Tarifvergünstigung für ausgeschüttete Gewinne von Kapitalgesellschaften für verfassungswidrig hält. Denn diese Gewinne unterlägen auf der Ebene der Kapitalgesellschaft der GewSt und würden nach dem alten System des Anrechnungsverfahrens vom Anteilseigner mit seinem persönlichen Steuersatz versteuert. Systemkonform müsse auch für diese Einkünfte eine Tarifentlastung gewährt werden.
Wenn man verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der ausgeschütteten Gewinne hat, müssen noch viel größere Bedenken bestehen, die dem Organträger zugerechneten Gewinne von der Vergünstigung auszunehmen. Denn diese unterliegen ja bei demselben Steuerpflichtigen der GewSt und ESt. Mit diesem Gedanken begründet der BFH auch die hier ausgesprochene Aussetzung der Vollziehung.
4. Beachten Sie, dass die Entscheidung nicht eine reine gewerbesteuerliche Organschaft betrifft. Diesbezüglich hat der BFH aber unter Geltung der Rechtslage bis 1998 bereits mit Beschluss vom 3.3.1998, IV B 49/97 (BStBl II 1998, 608) Aussetzung der Vollziehung gewährt.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 11.6.2003, IV B 47/03