Leitsatz
1. Sieht die Studienordnung einer Universität vor, dass Studierende einen Teil des Studiums an einer anderen (weiteren) Hochschule (hier Auslandssemester) absolvieren können bzw. müssen, wird an der anderen Hochschule keine weitere erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG begründet.
2. Studierende können daher Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen, die durch den Besuch der anderen Hochschule veranlasst sind, nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5a und Abs. 4a EStG als vorab entstandene Werbungskosten geltend machen.
3. Entsprechendes gilt in der Regel auch für Studierende, die im Rahmen ihres Studiums ein Praxissemester oder Praktikum ableisten können bzw. müssen und dabei ein Dienstverhältnis begründen.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 und 5a, Abs. 4, Abs. 4a, Abs. 6 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin nahm nach einer ersten Ausbildung ein (Zweit-)Studium an einer inländischen Hochschule auf. Nach der Prüfungsordnung haben die Studierenden dieses Studiengangs im Ausland ein Semester und ein Praxissemester zu absolvieren. Während dessen bleiben sie an der inländischen Hochschule eingeschrieben. Die Klägerin leistete das Auslandssemester in E Stadt (Ausland) und das Praxissemester bei einer Au-pair-Agentur in M Stadt (Ausland) ab. Für die Au-pair-Agentur war sie dabei vollzeitig und gegen Entgelt tätig. Die Klägerin beantragte für die Zeit des Auslandsstudiums (2014/2015) die Anerkennung der dadurch bedingten Unterkunftskosten sowie von Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten.
Das FA lehnte dies ab. Ausländische Hochschule und Au-pair-Agentur seien als erste Tätigkeitsstätte der Klägerin anzusehen. Die geltend gemachten Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung könnten daher – vergleichbar einem Arbeitsnehmer – nur im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten angesetzt werden. Eine solche liege aber unstreitig nicht vor. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das FG ab (FG Münster, Urteil vom 24.1.2018, 7 K 1007/17 E,F, Haufe-Index 11550042).
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hat der BFH die Vorentscheidung aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Das hat im zweiten Rechtsgang zu prüfen, in welcher Höhe die geltend gemachten Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.
Hinweis
1. Beruflich veranlasste Aufwendungen, die im Rahmen einer Zweitausbildung (Berufsausbildung oder Studium) anfallen, sind als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar. Hierzu gehören nach § 9 Abs. 4 Satz 8 2. Halbsatz EStG bei vollzeitigen Bildungsmaßnahmen/Vollzeitstudien beispielsweise Fahrt- bzw. Mobilitätskosten sowie Übernachtungskosten und (zeitlich begrenzt) Mehraufwendungen für Verpflegung am Ort der Bildungseinrichtung, soweit eine steuererhebliche doppelte Haushaltsführung vorliegt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 4 und 5 und Abs. 4a Satz 12 EStG). Entsprechendes gilt bei beruflich veranlassten auswärtigen Übernachtungen im Rahmen einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme oder eines Vollzeitstudiums (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5a und Abs. 4a EStG).
2. Gemäß § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.2.2013 (BGBl I 2013, 285) gilt ab dem Veranlagungszeitraum 2014 als erste Tätigkeitsstätte auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird. Eine zeitliche Mindestdauer des Studiums oder der Bildungsmaßnahme, damit eine Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte gilt, benennt das Gesetz in § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG nicht. Deshalb ist auch bei kurzzeitigen Vollzeitausbildungen die erste Tätigkeitsstätte des Steuerpflichtigen regelmäßig in der aufgesuchten Bildungseinrichtung zu verorten (BFH, Urteil vom 14.5.2020, VI R 24/18, BFH/NV 2020, 1329).
3. Eine "Auswärtstätigkeit" des Steuerpflichtigen während einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme oder eines Vollzeitstudiums ist damit jedoch nicht ausgeschlossen. Denn die Fiktion des § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG greift nicht, wenn der Steuerpflichtige in Vollzeitausbildung die Bildungseinrichtung und damit seine erste Tätigkeitsstätte i.S.v. § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG vorübergehend nicht aufsucht, weil er nach der Ausbildungs-/Studienordnung Teile der Ausbildung (Ausbildungsabschnitte) an einer auswärtigen Bildungseinrichtung absolvieren kann bzw. muss und nach der Ausbildungs-/Studienordnung weiterhin der bisherigen Bildungseinrichtung zugeordnet bleibt.
4. Nach diesen Maßstäben kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Das FG hat den Werbungskostenabzug der geltend gemachten Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen dem Grunde nach zu Unrecht versagt.
a) Die Klägerin begründete während der beiden Auslandssemester in der Universität in E Stadt (Ausland) keine erste Tätigkeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 4 Satz 8...