Leitsatz
1. Die sich aus der Verwertung der Insolvenzmasse ergebende ESt-Schuld ist in einem auf den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung beschränkten ESt-Bescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen.
2. Masseverbindlichkeiten sind die ESt-Schulden, die sich aus "echten" Gewinnen einer Mitunternehmerschaft ergeben.
3. Zu den Masseverbindlichkeiten gehören auch die ESt-Schulden, die sich daraus ergeben, dass bei Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft durch Auflösung einer Rückstellung auf der Ebene der Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) ein Gewinn entsteht.
Normenkette
§ 55 Abs. 1 InsO, § 171 Abs. 10, § 182 Abs. 1, § 251 AO
Sachverhalt
Der Kläger, ein Insolvenzverwalter, wandte sich gegen einen ESt-Bescheid des Insolvenzschuldners, in dem ein einheitlich und gesondert festgestellter Gewinnanteil des Insolvenzschuldners an einer Bauträger-GbR berücksichtigt werden sollte. Der Gewinn der GbR, der nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden war, beruhte im Wesentlichen auf der Auflösung von Rückstellungen, die die GbR in früheren Jahren für Mietgarantien und drohende Rückabwicklungen gebildet hatte.
Das FG wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage ab (Niedersächsisches FG, Urteil vom 28.10.2008, 13 K 457/07, Haufe-Index 2114332, EFG 2009, 486). Das FA habe die auf dem Gewinnanteil an der GbR beruhende ESt zu Recht als Masseverbindlichkeit behandelt und gegenüber dem Kläger zu Recht mittels ESt-Bescheid geltend gemacht.
Entscheidung
De BFH sah das ebenso und wies die Revision als unbegründet zurück.
Hinweis
Das Verhältnis zwischen Insolvenzrecht und Steuerrecht beschäftigt verstärkt den BFH, insbesondere nach Wegfall des Fiskusprivilegs.
Folgende Grundsätze sind zu beachten:
1. Im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits begründete Steueransprüche sind zur Insolvenztabelle anzumelden. Nach Insolvenzeröffnung begründete Steueransprüche, die als Massekosten oder Masseschulden zu qualifizieren sind, sind gegen den Insolvenzverwalter festzusetzen und von diesem vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Alle sonstigen Steueransprüche sind insolvenzfrei.
2. Die sich aus der Verwertung der Insolvenzmasse ergebende ESt-Schuld ist in einem auf den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung beschränkten ESt-Bescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen. Die einheitliche ESt-Schuld ist ggf. – aus Sicht des FA – in eine Insolvenzforderung, eine Masseforderung und eine insolvenzfreie Forderung aufzuteilen.
3. Masseverbindlichkeiten sind neben den Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) gem. § 55 Abs. 1 InsO auch die Verbindlichkeiten, die (1.) durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder (2.) in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass Masseverbindlichkeiten nicht nur durch Handlungen des Insolvenzverwalters entstehen können.
4. Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen/-verbindlichkeiten und Masseforderungen/-verbindlichkeiten richtet sich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Auf die steuerliche Entstehung der Forderung und deren Fälligkeit kommt es nicht an.
5. Für die Einordnung der ESt-Schuld als Masseverbindlichkeit kommt es nicht darauf an, wie der Gewinn des Streitjahrs entstanden ist, ob als "echter Ertrag" oder durch Auflösung einer Rückstellung, und damit durch Stornierung von Aufwand. Allein maßgeblich ist, dass der Gewinn steuerrechtlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist.
6. Zwar ist der Insolvenzmasse durch den festgestellten Gewinn der GbR kein Wert zugeflossen; die Insolvenzmasse ist aber durch die Verminderung der sie treffenden Verpflichtungen bereichert. Die Rechtsprechung stellt bei der Verwertung betrieblichen Vermögens – ganz formal – auf den Zeitpunkt der Realisation ab; nicht maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem die stillen Reserven entstanden sind.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.05.2010 –X R 60/08