Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebühren für Beurkundungen und Beglaubigungen der Notare im Landesdienst des Landes Baden-Württemberg im Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe. Auslegung der Richtlinie des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital. Gebühren für die Beurkundung eines Vertrages über die Gründung einer Kapitalgesellschaft durch einen beamteten Notar als Steuer im Sinne der Richtlinie 69/335. Entrichtung von Gebühren für die notarielle Beurkundung eines Vertrages über die Gründung einer Kapitalgesellschaft. Konkrete Aufwendungen der Notare für die jeweilige Dienstleistung als Maßstab für die Gebührenerhebung. Unterscheidung zwischen den nach Art. 10 der Richtlinie 69/335 verbotenen Steuern und den Abgaben mit Gebührencharakter, deren Erhebung erlaubt ist
Normenkette
EGVtr Art. 234; Verfahrensordnung § 3 Art. 104; KostO §§ 39, 32, 36
Beteiligte
Gründerzentrum-Betriebs-GmbH |
Verfahrensgang
Tenor
Die Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 ist so auszulegen, dass die Gebühren für die notarielle Beurkundung eines unter diese Richtlinie fallenden Rechtsgeschäfts in einem Rechtssystem, in dem die Notare Beamte sind und ein Teil der Gebühren dem Staat zufließt, der der Dienstherr der Notare ist und der diese Einnahmen für die Finanzierung seiner Aufgaben verwendet, als Steuer im Sinne der Richtlinie 69/335 in der geänderten Fassung anzusehen sind.
Die Gebühren für die notarielle Beurkundung eines Vertrages über die Gründung einer Kapitalgesellschaft sind nach Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 in der geänderten Fassung grundsätzlich verboten, wenn sie eine Abgabe im Sinne dieser Richtlinie darstellen.
Der Umstand allein, dass die für die notarielle Beurkundung eines Vertrages über die Gründung einer Kapitalgesellschaft erhobenen Gebühren, die proportional zu dem gezeichneten Nennkapital steigen, eine Obergrenze nicht übersteigen dürfen, kann diese Gebühren nicht zu Abgaben mit Gebührencharakter im Sinne der Richtlinie 69/335 in der geänderten Fassung machen, wenn diese Obergrenze nicht im angemessenen Verhältnis zu den Kosten der Leistung steht, die mit diesen Gebühren abgegolten wird.
Gründe
1.
Das Amtsgericht Müllheim/Baden hat mit Beschluss vom 20. Juni 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Juni 2000, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23, im Folgenden: Richtlinie 69/335) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit der Gründerzentrum-Betriebs-GmbH (im Folgenden: Antragstellerin) gegen das Land Baden-Württemberg (im Folgenden: Land), in dem es um die Entrichtung von Gebühren geht, die für die notarielle Beurkundung eines Vertrages über die Gründung einer Kapitalgesellschaft erhoben werden.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3.
Die Richtlinie 69/335 dient nach ihrer ersten Begründungserwägung der Förderung des freien Kapitalverkehrs, der als wesentliche Voraussetzung für die Schaffung einer Wirtschaftsunion mit ähnlichen Eigenschaften wie ein Binnenmarkt betrachtet wird.
4.
Nach der sechsten Begründungserwägung der Richtlinie 69/335 setzt dieser Zweck in Bezug auf die Besteuerung der Ansammlung von Kapital voraus, dass die bisher in den Mitgliedstaaten geltenden indirekten Steuern beseitigt werden und an ihrer Stelle eine Steuer angewandt wird, die nur einmal innerhalb des Gemeinsamen Marktes erhoben wird und in allen Mitgliedstaaten gleich hoch ist.
5.
Artikel 4 der Richtlinie 69/335 lautet:
(1)
Der Gesellschaftsteuer unterliegen die nachstehenden Vorgänge:
a)
die Gründung einer Kapitalgesellschaft;
…
c)
die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art;
…
(3)
Als Gründung im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe a) gelten nicht Änderungen gleich welcher Art des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung einer Kapitalgesellschaft und insbesondere nicht:
- die Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft anderer Art;
- die Verlegung des Ortes der tatsächlichen Geschäftsleitung oder des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristischen Person von einem Mitgliedstaat in einen anderen, wenn diese für die Erhebung der Gesellschaftsteuer in beiden Mitgliedstaaten als Kapitalgesellschaft angesehen wird;
- die Änderung des Gesellschaftsgegenstands einer Kapitalgesellschaft;
- die Verlängerung des Bestehens einer Kapitalgesellschaft.
6.
Artikel 7 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 69/335 bestimmt:
(1)
… [D]ie Mitgliedstaaten [befreien] von der Gesellschaftsteuer die Vorgänge, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50...