Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerrecht. Mehrwertsteuer. Steuerprüfung. Erbringung von Dienstleistungen aufgrund einer Tätigkeit als Vermittler von Künstlern. Mehrwertsteuerpflichtige Umsätze. Bei der Steuerverwaltung nicht erklärte Umsätze, über die keine Rechnung ausgestellt wurde. Betrug. Rekonstruktion der Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer. Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer. Einbeziehung der Mehrwertsteuer in die rekonstruierte Steuerbemessungsgrundlage
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 73, 78
Beteiligte
Tribunal Económico Administrativo Regional de Galicia |
Verfahrensgang
Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Spanien) (Beschluss vom 19.06.2019; ABl. EU 2019, Nr. C 363/6) |
Tenor
Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem und insbesondere ihre Art. 73 und 78 sind im Licht des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer dahin auszulegen, dass in einem Fall, in dem mehrwertsteuerpflichtige Personen der Steuerverwaltung aufgrund eines Steuerbetrugs weder mitgeteilt haben, dass es den Umsatz gibt, noch eine Rechnung ausgestellt oder die bei diesem Umsatz erzielten Einkünfte in einer direkte Steuern betreffenden Erklärung angegeben haben, davon auszugehen ist, dass die von der betreffenden Steuerverwaltung im Rahmen der Überprüfung einer solchen Erklärung durchgeführte Rekonstruktion der bei dem fraglichen Umsatz gezahlten und erhaltenen Beträge einen die Mehrwertsteuer bereits enthaltenden Preis darstellt, es sei denn, für die Steuerpflichtigen besteht nach nationalem Recht die Möglichkeit, die in Rede stehende Mehrwertsteuer trotz des Betrugs nachträglich abzuwälzen und in Abzug zu bringen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Oberstes Gericht von Galicien, Spanien) mit Entscheidung vom 19. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juli 2019, in dem Verfahren
CB
gegen
Tribunal Económico Administrativo Regional de Galicia
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter N. Wahl (Berichterstatter) und F. Biltgen, der Richterin L. S. Rossi sowie des Richters J. Passer,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von CB, vertreten durch C. Gómez Docampo, abogada,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Galluzzo, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. März 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 73 und 78 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen CB und dem Tribunal Económico Administrativo Regional de Galicia (Unabhängige Regionale Einspruchsstelle der Finanzverwaltung von Galicien, Spanien) wegen Steuerfestsetzungen und Sanktionen, die CB im Rahmen einer Steuernacherhebung der für die Jahre 2010 bis 2012 geschuldeten Einkommensteuer auferlegt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der siebte Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sollte, selbst wenn die Sätze und Befreiungen nicht völlig harmonisiert werden, eine Wettbewerbsneutralität in dem Sinne bewirken, dass gleichartige Gegenstände und Dienstleistungen innerhalb des Gebiets der einzelnen Mitgliedstaaten ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich belastet werden.”
Rz. 4
Art. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie legt das gemeinsame Mehrwertsteuersystem fest.
(2) Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist.
Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.
Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem wird bis zur Einzelhandelsstufe, diese eingeschlossen, angewandt.”
Rz. 5
Art. 73 der Richtlinie 2006/112 hat folgenden Wortlaut:
„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was...