Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermäßigter Steuersatz, Begriff Nahrungsmittel, Ersatznahrungsmittel, Aphrodisiaka
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 98 Abs. 2; EGRL 112/2006 Anhang III Nr. 1
Beteiligte
Staatssecretaris van Financiën |
Staatssecretaris van Financiën |
Verfahrensgang
Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) (Beschluss vom 19.04.2019; ABl. EU 2019, Nr. C 255/19) |
Tenor
Die in Anhang III Nr. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem enthaltenen Begriffe „Nahrungsmittel” und „üblicherweise als Zusatz oder als Ersatz für Nahrungs[mittel] verwendete Erzeugnisse” sind dahin auszulegen, dass sie alle Erzeugnisse erfassen, die Nährstoffe zum Aufbau, zur Energiezufuhr und zur Regulierung des menschlichen Organismus enthalten, die zur Erhaltung, zum Betrieb und zur Entwicklung dieses Organismus erforderlich sind und verzehrt werden, um ihn mit diesen Nährstoffen zu versorgen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 19. April 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 23. April 2019, in dem Verfahren
Staatssecretaris van Financiën
gegen
X
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und M. Ilešič,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. L. Noort und M. K. Bulterman als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Februar 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Anhang III Nr. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen, Niederlande) und X über die Anwendung des für Nahrungsmittel vorgesehenen ermäßigten Steuersatzes auf Erzeugnisse, die als Aphrodisiaka vertrieben und verwendet werden, im Wesentlichen pflanzlichen oder tierischen Ursprungs sind und oral eingenommen werden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung (EG) Nr. 178/2002
Rz. 3
Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. 2002, L 31, S. 1) bestimmt in ihrem Art. 1 „Ziel und Anwendungsbereich”):
„(1) Diese Verordnung schafft die Grundlage für ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit des Menschen und die Verbraucherinteressen bei Lebensmitteln unter besonderer Berücksichtigung der Vielfalt des Nahrungsmittelangebots, einschließlich traditioneller Erzeugnisse, wobei ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts gewährleistet wird. In ihr werden einheitliche Grundsätze und Zuständigkeiten, die Voraussetzungen für die Schaffung eines tragfähigen wissenschaftlichen Fundaments und effiziente organisatorische Strukturen und Verfahren zur Untermauerung der Entscheidungsfindung in Fragen der Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit festgelegt.
(2) Für die Zwecke von Absatz 1 werden in dieser Verordnung die allgemeinen Grundsätze für Lebensmittel und Futtermittel im Allgemeinen und für die Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit im Besonderen auf [Ebene der Europäischen Union und auf] einzelstaatlicher Ebene festgelegt.
Mit dieser Verordnung wird die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit [(EFSA)] errichtet.
Ferner werden Verfahren für Fragen festgelegt, die sich mittelbar oder unmittelbar auf die Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit auswirken.
…”
Rz. 4
Art. 2 „Definition von ‚Lebensmittel’”) dieser Verordnung sieht vor:
„Im Sinne dieser Verordnung sind ‚Lebensmittel’ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden.
Zu ‚Lebensmitteln’ zählen auch Getränke, Kaugummi sowie alle Stoffe – einschließlich Wasser –, die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden. Wasser zählt hierzu unbeschadet der Anforderungen der Richtlinien 80/778/EWG [des Rates vom 15. Juli 1980 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (ABl. 1980, L 229, S.11)] und 98/83/EG [des Rates vom 3. November 1998 über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (ABl. 1998, L 330, S. 32)] ab der Stelle der Einhaltung im ...