Entscheidungsstichwort (Thema)
Ärztliche Leistungen: Verzicht auf Vorsteuerberichtigung Wechsel von steuerpflichtigen zu steuerfreien Umsätzen ist staatliche Beihilfe
Leitsatz (amtlich)
Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) ist dahin auszulegen, dass eine Regelung wie die in Artikel XIV Z 3 des Bundesgesetzes BGBl 21/1995 in der Fassung BGBl 756/1996 getroffene, also eine Regelung, nach der bei Ärzten der Wechsel von der Erbringung umsatzbesteuerter Umsätze zur Erbringung umsatzsteuerbefreiter Umsätze hinsichtlich der weiterhin im Unternehmen verwendeten Güter nicht zu der durch Artikel 20 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage vorgeschriebenen Kürzung des bereits gewährten Vorsteuerabzugs führt, eine staatliche Beihilfe darstellt.
Normenkette
EGVtr Art. 92; EWGRL 388/77 Art. 20
Beteiligte
Verfahrensgang
VwGH Wien (Österreich) (Entscheidung vom 31.03.2003) |
Tatbestand
„Mehrwertsteuer ‐ Befreiung der im Rahmen ärztlicher Berufe erbrachten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ‐ Berichtigung des Vorsteuerabzugs“
In der Rechtssache C-172/03
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 31. März 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 14. April 2003, in dem Verfahren
Wolfgang Heiser
gegen
Finanzamt Innsbruck
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans (Berichterstatter) sowie der Richter C. Gulmann, R. Schintgen, J. Makarczyk und J. Klučka,
Generalanwalt: A. Tizzano,Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. September 2004,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐
von Herrn Heiser, vertreten durch Steuerberater R. Kapferer,
‐
der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl und J. Bauer als Bevollmächtigte,
‐
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz, V. Di Bucci und K. Gross als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Oktober 2004,
folgendes
Urteil
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Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG).
2
Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Heiser und dem Finanzamt Innsbruck (Österreich) wegen eines Bescheides des Finanzamts über die Berichtigung des Vorsteuerabzugs.
Nationale Vorschriften
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Der Vorlageentscheidung ist zu entnehmen, dass Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt in Österreich nach § 6 Abs. 1 Z 19 Umsatzsteuergesetz (UStG) 1994 ‐ unter Ausschluss des Vorsteuerabzugs ‐ steuerfrei sind. Gemäß § 29 Abs. 5 UStG 1994 gilt diese Steuerbefreiung allerdings erst für Umsätze, die nach dem 31. Dezember 1996 ausgeführt worden sind. Ärztliche Leistungen, die vor dem 1. Jänner 1997 erbracht worden sind, waren umsatzsteuerpflichtig und unterlagen dem Normalsteuersatz.
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Dieser Übergang von der Steuerpflicht zur Steuerbefreiung stellt die Umsetzung des Anhangs XV Teil IX Nr. 2 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 21, und ABl. 1995, L 1, S. 1) dar. Denn nach diesem Anhang wurde u. a. für Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin durch Ärzte im Bereich des öffentlichen Gesundheitswesens und der Sozialfürsorge die Inkraftsetzung der Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie) auf den 1. Jänner 1997 hinausgeschoben.
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Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass lang andauernde ärztliche Leistungen, wie z. B. kieferorthopädische Behandlungen, die vor dem 1. Jänner 1997 begonnen hatten, aber erst nach dem 31. Dezember 1996 beendet wurden, als nach dem 31. Dezember 1996 erbracht gelten und daher umsatzsteuerbefreit sind. Hat der Arzt auf derartige Leistungen vor dem 1. Jänner 1997 Anzahlungen vereinnahmt und Mehrwertsteuer entrichtet, ist auf diese Anzahlungen nachträglich die Steuerbefreiung anzuwenden. Eine solche steuerliche Entlastung erfolgt im Wirtschaftsjahr 1997.
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§ 12 Abs. 10 UStG 1994 bestimmt:
„Ändern sich bei einem Gegenstand, den der Unternehmer in seinem Unternehmen als Anlagevermögen verwendet oder nutzt, in den auf das Jahr der erstmaligen Verwendung folgenden vier Kalenderjahren die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den V...