Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschreibung Warenentnahme aus Zolllager, Entstehung der Zollschuld, Wiederausfuhr nach Entnahme aus Zolllager
Leitsatz (amtlich)
Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 648/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass bei Nichtgemeinschaftsware die Nichterfüllung der Pflicht, die Entnahme der Ware aus einem Zolllager spätestens zum Zeitpunkt ihrer Entnahme in den dafür vorgesehenen Bestandsaufzeichnungen anzuschreiben, auch dann zur Entstehung einer Zollschuld für diese Ware führt, wenn sie wieder ausgeführt wurde.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 204 Abs. 1
Beteiligte
Eurogate Distribution GmbH |
Hauptzollamt Hamburg-Stadt |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Zollkodex der Gemeinschaften ‐ Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 ‐ Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ‐ Zolllagerverfahren ‐ Entstehung der Zollschuld wegen Nichterfüllung einer Pflicht ‐ Verspätete Anschreibung der Entnahme der Ware aus dem Zolllager in den Bestandsaufzeichnungen“
In der Rechtssache C-28/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 25. November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Januar 2011, in dem Verfahren
Eurogate Distribution GmbH
gegen
Hauptzollamt Hamburg-Stadt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters J. Malenovský, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis (Berichterstatter) und D. Šváby,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Dezember 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Eurogate Distribution GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte U. Schrömbges und H. Bleier,
‐ der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Albenzio, avvocato dello Stato,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Bouyon und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. März 2012
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 204 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 648/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 (ABl. L 117, S. 13) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Eurogate Distribution GmbH (im Folgenden: Eurogate) und dem Hauptzollamt Hamburg-Stadt (im Folgenden: Hauptzollamt) über eine Einfuhrzollschuld, die Eurogate aufgrund verspäteter Anschreibung der Entnahme der Ware aus einem Zolllager in den Bestandsaufzeichnungen auferlegt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Der Zollkodex
Rz. 3
Das Zolllagerverfahren ist ein Nichterhebungsverfahren und ein Zollverfahren mit wirtschaftlicher Bedeutung im Sinne des Art. 84 Abs. 1 Buchst. a und b des Zollkodex. Für das Zolllagerverfahren gelten die allgemeinen Bestimmungen in Titel IV Kapitel 2 Abschnitt 3 Punkt A und die besonderen Bestimmungen von Punkt C („Zolllager“) dieses Abschnitts. Art. 89 des Zollkodex enthält Bestimmungen über die Beendigung von Nichterhebungsverfahren. Die Art. 98 und 99 des Zollkodex geben Definitionen betreffend das Zolllager. Nach Art. 105 besteht im Rahmen des Zolllagerverfahrens die Pflicht zur Führung von Bestandsaufzeichnungen.
Rz. 4
Art. 89 Abs. 1 des Zollkodex bestimmt:
„Ein Nichterhebungsverfahren mit wirtschaftlicher Bedeutung endet, wenn die in dieses Verfahren übergeführten Waren oder gegebenenfalls die im Rahmen dieses Verfahrens gewonnenen Veredelungs- oder Umwandlungserzeugnisse eine zulässige neue zollrechtliche Bestimmung erhalten.“
Rz. 5
Die Art. 98 und 99 des Zollkodex lauten:
„Artikel 98
(1) Im Zolllagerverfahren können folgende Waren im Zollgebiet der Gemeinschaft gelagert werden:
a) Nichtgemeinschaftswaren, ohne dass diese Waren Einfuhrabgaben oder handelspolitischen Maßnahmen unterliegen;
…
Artikel 99
Zolllager können öffentliche oder private Zolllager sein.
‐ ‚Öffentliche Zolllager‘ sind Zolllager, die jedermann für die Lagerung von Waren zur Verfügung stehen;
‐ ‚private Zolllager‘ sind Zolllager, die auf die Lagerung von Waren durch den Lagerhalter beschränkt sind.
Lagerhalter ist derjenige, der eine Bewilligung für den Betrieb eines Zolllagers erhalten hat.
Der Einlagerer ist die Person, die durch die Anmeldung zur Überführung von Waren in das Zolllagerverfahren gebunden ist, oder die Person, der die Rechte und Pflichten dies...