Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern. Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer. Nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige. Ablehnung der Erstattung der entrichteten Mehrwertsteuer. Unterlagen, die den Erstattungsanspruch belegen. Keine fristgerechte Vorlage der Belege
Normenkette
EWGRL 1072/79
Beteiligte
GE Auto Service Leasing GmbH |
Tribunal Económico-Administrativo Central |
Verfahrensgang
Audiencia Nacional (Spanien) (Beschluss vom 05.03.2020; ABl. EU 2020, Nr. C 320/10) |
Tenor
1. Die Bestimmungen der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige und die Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, sind dahin auszulegen, dass sie es nicht verbieten, einen Antrag auf Erstattung der Mehrwertsteuer abzulehnen, wenn der Steuerpflichtige der zuständigen Steuerverwaltung selbst auf deren Aufforderung hin nicht innerhalb der gesetzten Frist alle in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Dokumente vorgelegt und Auskünfte erteilt hat, ungeachtet dessen, dass er diese Dokumente und Auskünfte im Überprüfungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren über die Klage gegen die einen solchen Erstattungsanspruch versagende Entscheidung von sich aus vorgelegt bzw. erteilt hat, sofern die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewahrt werden. Dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es keinen Rechtsmissbrauch darstellt, wenn ein Steuerpflichtiger, der die Erstattung der Mehrwertsteuer beantragt, die von der Steuerverwaltung angeforderten Unterlagen im Verwaltungsverfahren nicht vorlegt, sie dann aber in den Folgeverfahren von sich aus vorlegt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) mit Entscheidung vom 5. März 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juli 2020, in dem Verfahren
GE Auto Service Leasing GmbH
gegen
Tribunal Económico-Administrativo Central
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und C. Lycourgos,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der GE Auto Service Leasing GmbH, vertreten durch A. Azpeitia Gamazo und A. Albarrán Jiménez, abogados,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García und M. J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, O. Serdula und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou, S. Trekli und G. Avdikos als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und J. Jokubauskaite als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (ABl. 1979, L 331, S. 11, im Folgenden: Achte Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der GE Auto Service Leasing GmbH (im Folgenden: Auto Service) und dem Tribunal Económico-Administrativo Central (Zentrale Rechtsbehelfsbehörde in Verwaltungssachen, Spanien) wegen der Weigerung, die von der Gesellschaft in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer zu erstatten.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 3
Art. 17 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. 1977, L 145, S. 1) in der durch die Richtlinie 2006/18/EG des Rates vom 14. Februar 2006 (ABl. 2006, L 51, S. 12) geänderten Fassung (im Folgenden: Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie) bestimmt:
„(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
- die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder g...