Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhere Einkommensbesteuerung eines Ruhegehalts bei Gebietsfremden als bei Gebietsansässigen kann gegen EG-Vertrag verstoßen
Leitsatz (amtlich)
Artikel 18 EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, wonach die Einkommensteuer auf das Ruhegehalt, das von einem Träger des betreffenden Mitgliedstaats einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Person gezahlt wird, in bestimmten Fällen die Steuer übersteigt, die geschuldet würde, wenn diese Person im erstgenannten Mitgliedstaat ansässig wäre, dann entgegensteht, wenn das Ruhegehalt die gesamten oder nahezu die gesamten Einkünfte dieser Person ausmacht.
Normenkette
EGVtr Art. 18
Beteiligte
Pirkko Marjatta Turpeinen |
Verfahrensgang
KHO (Finnland) (Urteil vom 20.12.2004; Abl.EU 2005, Nr. C 57/17) |
Tatbestand
„Freizügigkeit ‐ Einkommensteuer ‐ Ruhegehalt ‐ Höhere Besteuerung von Ruhegehaltsempfängern, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind“
In der Rechtssache C-520/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Dezember 2004, in dem Verfahren
Pirkko Marjatta Turpeinen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter K. Lenaerts, J. N. Cunha Rodrigues, M. Ilešič und E. Levits,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. März 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Frau Turpeinen, vertreten durch K. Äimä, oikeustieteen lisensiaatti,
‐ der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä und E. Bygglin als Bevollmächtigte,
‐ der spanischen Regierung, vertreten durch I. del Cuvillo Contreras und M. Muñoz Pérez als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Condou, G. Rozet und P. Aalto als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Mai 2006
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 18 EG und 39 EG sowie der Richtlinie 90/365/EWG des Rates vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen (ABl. L 180, S. 28).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens, in dem sich Frau Turpeinen, eine im Ruhestand befindliche finnische Staatsangehörige, die in dem im Ausgangsverfahren entscheidungserheblichen Zeitraum in Spanien wohnte, gegen die Besteuerung des ihr in Finnland von einem finnischen Träger gezahlten Ruhegehalts wendet.
Ausgangsverfahren und rechtlicher Rahmen
3
Bis 1998 wohnte Frau Turpeinen in Finnland und arbeitete als Jugendpsychiaterin im finnischen öffentlichen Dienst. 1998 trat sie in den Vorruhestand und zog nach Belgien. Als sie 1999 endgültig in den Ruhestand versetzt wurde, ließ sie sich dauerhaft in Spanien nieder.
4
Die Einkünfte von Frau Turpeinen bestehen ausschließlich aus ihrem Ruhegehalt, das vom Kuntien Eläkevakuutus (Pensionskasse der Gemeinden) gezahlt wird. Gemäß dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Republik Finnland und dem Königreich Spanien ist dieses Ruhegehalt, das für im öffentlichen Sektor erbrachte Dienste gezahlt wird, nur in Finnland steuerpflichtig.
5
Bis zum Jahr 2001 fiel Frau Turpeinen unter die für unbeschränkt steuerpflichtige Gebietsansässige geltende Steuerregelung, die das gesamte Welteinkommen des Steuerpflichtigen erfasst. Diese Regelung sieht eine progressive Besteuerung vor, wonach für die aus dem Ruhegehalt von Frau Turpeinen bestehenden Einkünfte ein Steuersatz von 28,5 % galt.
6
Im Jahr 2002, dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuerjahr, teilte das Uudenmaan verovirasto (Steueramt Uudenmaa, im Folgenden: Steueramt) Frau Turpeinen mit, dass sie künftig der für beschränkt Steuerpflichtige geltenden Besteuerungsregelung unterliege, die nur finnische Einkünfte erfasst und nach den §§ 9 und 11 des finnischen Einkommensteuergesetzes (Tuloverolaki, Gesetz Nr. 1535/1992) auf finnische Staatsangehörige Anwendung findet, die seit drei aufeinanderfolgenden Jahren keinen Wohnsitz mehr in Finnland haben. Im Rahmen dieser Regelung wurde gemäß den §§ 1 Absatz 1, 2 Absatz 1, 3 Absatz 1 und 7 des finnischen Gesetzes über die Besteuerung von Einkommen und Vermögen beschränkt einkommensteuerpflichtiger Personen (Lähdeverolaki, Gesetz Nr. 627/1978) auf das Ruhegehalt von Frau Turpeinen eine Quellensteuer zum Pauschalsteuersatz von 35 % erhoben.
7
Da Frau Turpeinen der Ansicht war, dass sie wie ein in Finnland unbeschränkt Steuerpflichtiger, also progressiv, zu besteuern sei, legte sie gegen die Entscheidung des Uudenmaan verovirasto Einspruch ein. Sie machte geltend, dass innerhalb der Europäischen Union die Behand...