Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerwesen. Mehrwertsteuer. Materielle Voraussetzungen des Rechts auf Vorsteuerabzug. Steuerpflichtigeneigenschaft des Lieferers. Beweislast. Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug, wenn der wahre Lieferer nicht namhaft gemacht worden ist. Voraussetzungen
Normenkette
EGRL 112/2006
Beteiligte
Kemwater ProChemie s. r. o |
Odvolací finanční ředitelství |
Verfahrensgang
Nejvyssí správní soud (Tschechien) (Beschluss vom 11.03.2020; ABl. EU 2020, Nr. C 209/18) |
Tenor
Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug zu versagen ist, ohne dass die Steuerverwaltung nachweisen müsste, dass der Steuerpflichtige eine Mehrwertsteuerhinterziehung begangen hat oder wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung dieses Rechts geltend gemachte Umsatz in eine Hinterziehung einbezogen war, wenn dieser Steuerpflichtige in dem Fall, dass der wahre Lieferer der betreffenden Gegenstände oder der wahre Erbringer der betreffenden Dienstleistungen nicht namhaft gemacht worden ist, nicht nachweist, dass dieser Steuerpflichtiger war, sofern unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und der von dem Steuerpflichtigen vorgelegten Informationen die für die Prüfung, ob der wahre Lieferer bzw. Leistungserbringer Steuerpflichtiger war, erforderlichen Angaben fehlen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 11. März 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 31. März 2020, in dem Verfahren
Kemwater ProChemie s. r. o.
gegen
Odvolací finanční ředitelství
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer C. Lycourgos in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zehnten Kammer sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter) und M. Ilešič,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Odvolací finanční ředitelství, vertreten durch T. Rozehnal,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, O. Serdula und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und R. Kissné Berta als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und M. Salyková als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kemwater ProChemie s. r. o. und dem Odvolací finanční ředitelství (Für Einsprüche zuständige Finanzdirektion, Tschechische Republik) (im Folgenden: Finanzdirektion) wegen der Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug für die Erbringung von Werbedienstleistungen in den Jahren 2010 und 2011.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.”
Rz. 4
Art. 168 dieser Richtlinie sieht vor:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…”
Rz. 5
In Art. 178 der Richtlinie 2006/112 heißt es:
„Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige folgende Bedingungen erfüllen:
a) für den Vorsteuerabzug nach Artikel 168 Buchstabe a in Bezug auf die Lieferungen von Gegenständen und dem Erbringen von Dienstleistungen muss er eine gemäß den Artikeln 220 bis 236 sowie 238, 239 und 240 ausgestellte Rechnung besitzen;
…”
Rz. 6
Art. 273 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftli...