Entscheidungsstichwort (Thema)
EWR-Abkommen, Quellensteuerabzug, Dividendenausschüttung an in Island oder Norwegen ansässige Gesellschaften, Besserstellung EU-ansässiger Empfängergesellschaften, Diskriminierungsverbot
Leitsatz (amtlich)
1. Das Königreich der Niederlande hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 verstoßen, dass es Dividenden, die von niederländischen Gesellschaften an in Island oder Norwegen ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, nicht unter den gleichen Voraussetzungen vom Abzug der Dividendensteuer an der Quelle befreit hat wie Dividenden, die an niederländische Gesellschaften oder an in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden.
2. Das Königreich der Niederlande trägt die Kosten.
Normenkette
EWR-Abkommen Art. 40
Beteiligte
Kommission der Europäischen Gemeinschaften |
Königreich der Niederlande |
Tatbestand
„Vertragsverletzung ‐ Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum ‐ Art. 40 ‐ Freier Kapitalverkehr ‐ Ungleichbehandlung der von niederländischen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden ‐ Quellensteuerabzug ‐ Befreiung ‐ In den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ansässige Empfängergesellschaften ‐ In Island oder Norwegen ansässige Empfängergesellschaften“
In der Rechtssache C-521/07
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 23. November 2007,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. van Nuffel und R. Lyal als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Königreich der Niederlande, vertreten durch C. M. Wissels und D. J. M. de Grave als Bevollmächtigte,
Beklagter,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter J.-C. Bonichot (Berichterstatter), K. Schiemann und L. Bay Larsen sowie der Richterin C. Toader,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass das Königreich der Niederlande dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hat, dass es Dividenden, die an in Island oder Norwegen ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, nicht unter den gleichen Voraussetzungen vom Abzug der Dividendensteuer an der Quelle befreit hat wie Dividenden, die an niederländische Gesellschaften ausgeschüttet werden.
Rechtlicher Rahmen
EWR-Abkommen und Gemeinschaftsrecht
Rz. 2
Art. 40 des EWR-Abkommens bestimmt:
„Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt der Kapitalverkehr in Bezug auf Berechtigte, die in den … Mitgliedstaaten [der Europäischen Gemeinschaft] oder den … Staaten [der Europäischen Freihandelsassoziation, im Folgenden: EFTA] ansässig sind, keinen Beschränkungen und keiner Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnortes der Parteien oder des Anlageortes. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Artikel sind in Anhang XII enthalten.“
Rz. 3
In dem genannten Anhang XII („Freier Kapitalverkehr“) wird auf die Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5) Bezug genommen.
Rz. 4
In Art. 1 dieser Richtlinie heißt es:
„Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. …“
Rz. 5
Art. 4 der Richtlinie 88/361 bestimmt:
„Das Recht der Mitgliedstaaten, auf insbesondere steuerrechtlichem … Gebiet die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen ihre Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu verhindern …, wird durch die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht berührt.
Die Anwendung dieser Maßnahmen und Verfahren darf keine Behinderung des im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht abgewickelten Kapitalverkehrs zur Folge haben.“
Nationales Recht
Rz. 6
Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Dividendensteuer (Wet op de dividendbelasting) vom 23. Dezember 1965 (im Folgenden: Wet DB) sieht vor:
„Unter der Bezeichnung ‘Dividendensteuer’ wird eine direkte Steuer von denjenigen erhoben, die ‐ unmittelbar oder mittels Wertpapieren ‐ Anspruch haben auf Erträge von Anteilen an in den Niederlanden ansässigen Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, offenen Kommanditgesellschaften und anderen Gesellschaften, deren Kapital ganz oder teilweise in Anteile zerlegt ist, oder auf Erträge von Genussscheinen oder Darlehen im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d des Gesetzes über die Körperschaftsteuer 1969 [Wet op de vennootschapsbelasting 1969, im Folgenden: Wet Vpb] für solche Gesellschaften.“
Rz. 7
In Art. 4 Wet DB heißt ...