Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung des Zollwerts, Anfechtbare Handlung, Klagezulässigkeit ohne Rechtsbehelf
Leitsatz (amtlich)
1. Entscheidungen wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, mit denen der Zollwert von Waren gemäß Art. 30 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 82/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 geänderten Fassung berichtigt wird und deshalb vom Zollanmelder Mehrwertsteuer nacherhoben wird, sind anfechtbare Handlungen im Sinne von Art. 243 der Verordnung Nr. 2913/92. Zudem steht Art. 245 der Verordnung Nr. 2913/92 im Hinblick auf die allgemeinen Grundsätze der Wahrung der Verteidigungsrechte und der Rechtskraft nationalen Rechtsvorschriften wie den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die für die Anfechtung der Entscheidungen der Zollbehörden zwei getrennte Rechtsbehelfsverfahren vorsehen, nicht entgegen, da diese Rechtsvorschriften weder den Äquivalenzgrundsatz noch den Effektivitätsgrundsatz verletzen.
2. Art. 243 der Verordnung Nr. 2913/92 macht die Zulässigkeit einer Klage gegen Entscheidungen, die auf der Grundlage von Art. 181a Abs. 2 der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch die Verordnung Nr. 3254/94 geänderten Fassung ergangen sind, nicht davon abhängig, dass die gegen diese Entscheidungen zur Verfügung stehenden Verwaltungsrechtsbehelfe zuvor ausgeschöpft worden sind.
3. Art. 181a Abs. 2 der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch die Verordnung Nr. 3254/94 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine auf der Grundlage dieser Bestimmung erlassene Entscheidung auch dann als endgültig und mit einer direkten Klage bei einem unabhängigen Gericht anfechtbar anzusehen ist, wenn sie unter Verletzung des Rechts des Betroffenen auf Anhörung und auf Erhebung von Einwänden ergangen ist.
4. Bei einer Verletzung des in Art. 181a Abs. 2 der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch die Verordnung Nr. 3254/94 geänderten Fassung vorgesehenen Rechts des Betroffenen auf Anhörung und auf Erhebung von Einwänden ist es Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des bei ihm anhängigen Falles sowie des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes festzustellen, ob es, wenn die Entscheidung, die unter Verstoß gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte ergangen ist, aus diesem Grund für nichtig zu erklären ist, über die Klage gegen diese Entscheidung zu entscheiden hat oder ob es erwägen kann, den Rechtsstreit an die zuständige Verwaltungsbehörde zurückzuverweisen.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 30 Abs. 2, Art. 243; EWGV 2454/93 Art. 181a Abs. 2
Beteiligte
Global Trans Lodzhistik OOD |
Nachalnik na Mitnitsa Stolichna |
Verfahrensgang
Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien) (Urteil vom 04.01.2013; ABl. EU 2013, Nr. C 108/15) |
Tatbestand
„Vorabentscheidungsersuchen ‐ Zollkodex der Gemeinschaften ‐ Art. 243 und 245 ‐ Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 ‐ Art. 181a ‐ Anfechtbare Entscheidung ‐ Zulässigkeit einer Klage ohne vorherigen Verwaltungsrechtsbehelf ‐ Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte“
In den verbundenen Rechtssachen C-29/13 und C-30/13
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien) mit Entscheidungen vom 4. Januar 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Januar 2013, in den Verfahren
Global Trans Lodzhistik OOD
gegen
Nachalnik na Mitnitsa Stolichna
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter A. Borg Barthet (Berichterstatter), E. Levits, S. Rodin und F. Biltgen,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Global Trans Lodzhistik OOD, vertreten durch M. Aydarova, advokat,
‐ des Nachalnik na Mitnitsa Stolichna, vertreten durch S. Zlatkov als Bevollmächtigten,
‐ der bulgarischen Regierung, vertreten durch E. Petranova und D. Drambozova als Bevollmächtigte,
‐ der spanischen Regierung, vertreten durch M. García-Valdecasas Dorrego als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Albenzio, avvocato dello Stato,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Keppenne, S. Petrova und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 243 und 245 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 82/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 17, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex) sowie von Art. 181a Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. ...