Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollkodex, Voraussetzungen der rechtsgültigen Mitteilung des Betrags der zu entrichtenden Ein- oder Ausfuhrabgaben an den Zollschuldner
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 221 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist dahin auszulegen, dass die Mitteilung des Betrags der zu entrichtenden Ein- oder Ausfuhrabgaben an den Zollschuldner nur dann rechtsgültig erfolgen kann, wenn der Betrag dieser Abgaben von diesen Behörden zuvor buchmäßig erfasst worden ist.
2. Art. 221 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2913/92 ist dahin auszulegen, dass der Abgabenbetrag dem Zollschuldner nach Ablauf der Frist von drei Jahren mitgeteilt werden kann, wenn die Zollbehörden aufgrund einer strafbaren Handlung anfänglich den gesetzlich geschuldeten Abgabenbetrag nicht genau ermitteln konnten, und zwar auch dann, wenn der Zollschuldner nicht der Täter dieser strafbaren Handlung ist.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 221 Abs. 1, 3
Beteiligte
Algemeen Expeditiebedrijf Zeebrugge BVBA |
Verfahrensgang
Hof van Cassatie (Belgien) (Urteil vom 26.02.2008; Abl.EU 2008, Nr. C142/16) |
Tatbestand
„Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 ‐ Zollkodex der Gemeinschaften ‐ Zollschuld ‐ Abgabenbetrag ‐ Mitteilung an den Zollschuldner ‐ Strafbare Handlung “
In den verbundenen Rechtssachen C-124/08 und C-125/08
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hof van Cassatie van België (Belgien), mit Entscheidungen vom 26. Februar 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 25. März 2008, in den Verfahren
Gilbert Snauwaert,
Algemeen Expeditiebedrijf Zeebrugge BVBA,
Coldstar NV,
Dirk Vlaeminck,
Jeroen den Haerynck,
Ann de Wintere (C-124/08),
Géry Deschaumes (C-125/08)
gegen
Belgische Staat
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter K. Schiemann, J. Makarczyk (Berichterstatter), P. Kũris und L. Bay Larsen,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Herrn Snauwaert, der Algemeen Expeditiebedrijf Zeebrugge BVBA und der Coldstar NV, vertreten durch J. Verbist, advocaat,
‐ von Herrn Den Haerynck, vertreten durch E. Gevers, advocaat,
‐ von Frau De Wintere, vertreten durch H. Van Bavel und P. Wytinck, advocaten,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch J.-C. Halleux als Bevollmächtigten,
‐ der griechischen Regierung, vertreten durch S. Spyropoulos, Z. Chatzipavlou und V. Karra als Bevollmächtigte,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. van Beek und S. Schønberg, als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 221 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex).
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zum einen in der Rechtssache C-124/08, G. Snauwaert, Algemeen Expeditiebedrijf Zeebrugge BVBA, Coldstar NV, D. Vlaeminck, J. den Haerynck und A. de Wintere gegen Belgische Staat und zum anderen in der Rechtssache C-125/08, G. Deschaumes gegen Belgische Staat, in denen es um Bescheide über die Nacherhebung von Einfuhrabgaben geht.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Art. 221 des Zollkodex sieht vor:
„(1) Der Abgabenbetrag ist dem Zollschuldner in geeigneter Form mitzuteilen, sobald der Betrag buchmäßig erfasst worden ist.
…
(3) Die Mitteilung an den Zollschuldner darf nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld nicht mehr erfolgen. Konnten die Zollbehörden jedoch aufgrund einer strafbaren Handlung den gesetzlich geschuldeten Abgabenbetrag nicht genau ermitteln, so kann die Mitteilung noch nach Ablauf der genannten Dreijahresfrist erfolgen, sofern dies nach geltendem Recht vorgesehen ist.“
Die Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rz. 4
Die Ausgangsverfahren, wie sie vom vorlegenden Gericht beschrieben worden sind, beziehen sich auf mehrere Betrugsfälle bei der Einfuhr von nicht auf dem europäischen Markt zugelassenem Fleisch, zu denen es in Belgien Mitte der neunziger Jahre gekommen war.
Rz. 5
Diese Betrugsfälle betrafen zum einen das Inverkehrbringen von aus Drittländern stammendem Fleisch, das nach den nationalen und den Gemeinschaftsbestimmungen ungeeignet für den menschlichen Verzehr war, zu Niedrigpreisen auf dem europäischen Markt und zum anderen die unrechtmäßige Beanspruchung von Ausfuhrerstattungen.
Rz. 6
Als Folge dieser Betrugsfälle wurden Einfuhrabgaben im Zusammenhang mit den betreffenden Waren hinterzogen, da die zuständigen Zollbehörden nicht über die erforderlichen Angaben für deren buchmäßige Erfassung verfügten.
Rechtss...