Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Harmonisierung des Steuerrechts. Mehrwertsteuer. Ort einer Dienstleistung an einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt. Ort der Dienstleistung bei Vermögensverwaltungsdienstleistungen, die eine gemeinnützige Einrichtung für ihre nicht wirtschaftliche Geschäftstätigkeit von außerhalb der Europäischen Union ansässigen Dienstleistungserbringern empfängt
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 43-44
Beteiligte
The Commissioners for Her Majesty's Revenue and Customs |
Verfahrensgang
Upper Tribunal (Vereinigtes Königreich) (Beschluss vom 13.06.2019; ABl. EU 2019, Nr. C 280/28) |
Tenor
Art. 44 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass, wenn ein Steuerpflichtiger, der gewerbsmäßig eine nicht wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, Dienstleistungen für die Zwecke dieser nicht wirtschaftlichen Tätigkeit erwirbt, diese Dienstleistungen im Sinne dieses Artikels als an diesen Steuerpflichtigen, „der als solcher handelt”, erbracht anzusehen sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) (Obergericht [Steuer- und Chancerykammer], Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 13. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Juni 2019, in dem Verfahren
The Commissioners for Her Majesty's Revenue and Customs
gegen
Wellcome Trust Ltd
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász (Berichterstatter), C. Lycourgos und I. Jarukaitis,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Wellcome Trust Ltd, vertreten durch F. Mitchell, Barrister, sowie P. Nathwani, C. Millard und H. Grantham, Solicitors,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Z. Lavery als Bevollmächtigte im Beistand von E. Mitrophanous, Barrister,
- von Irland, vertreten durch M. Browne, J. Quaney und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von N. Travers, SC,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und A. Armenia als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 44 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. 2008, L 44, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen The Commissioners for Her Majesty's Revenue & Customs (Steuer- und Zollverwaltung, Vereinigtes Königreich) und der Wellcome Trust Ltd (im Folgenden: WTL) wegen Erstattung der Mehrwertsteuer, die für die von außerhalb der Union ansässigen Vermögensverwaltern erbrachten Dienstleistungen entrichtet wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2008/8
Rz. 3
Der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/8 lautet:
„Bei Dienstleistungen an Steuerpflichtige sollte die Grundregel für die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung auf den Ort abstellen, an dem der Empfänger ansässig ist, und nicht auf den, an dem der Dienstleistungserbringer ansässig ist. Im Hinblick auf die Regeln zur Bestimmung des Ortes der Dienstleistung und um die Belastung für die wirtschaftliche Tätigkeit möglichst gering zu halten, sollten Steuerpflichtige, die auch nichtsteuerbaren Tätigkeiten nachgehen, für alle an sie erbrachten Dienstleistungen als Steuerpflichtige gelten. Gleichermaßen sollten nichtsteuerpflichtige juristische Personen, die für die Zwecke der Mehrwertsteuer erfasst sind, als Steuerpflichtige gelten. Diese Regelungen sollten im Einklang mit den allgemeinen Regeln nicht auf Dienstleistungen Anwendung finden, die von Steuerpflichtigen für ihre persönliche Verwendung oder die Verwendung durch ihr Personal empfangen werden.”
Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 4
Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
…
c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;
…”
Rz. 5
Art. 9 Abs. 1 in Titel III („Steuerpflichtiger”) dieser Richtlinie bestimmt:
„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tät...