Entscheidungsstichwort (Thema)
Mutter-Tochter-Richtlinie, Vermeidung von Doppelbesteuerung, Zusatzbeitrag von 3 % zur Körperschaftsteuer
Leitsatz (amtlich)
Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der durch die Richtlinie 2014/86/EU des Rates vom 8. Juli 2014 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer vom Mitgliedstaat einer Muttergesellschaft vorgesehenen steuerlichen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ‐ die die Erhebung einer Steuer anlässlich der Ausschüttung von Dividenden durch die Muttergesellschaft vorsieht, wobei die Bemessungsgrundlage der Steuer in den Beträgen der ausgeschütteten Dividenden, einschließlich der von den gebietsfremden Tochtergesellschaften dieser Gesellschaft stammenden Dividenden, besteht ‐ entgegensteht.
Normenkette
EURL 96/2011 Art. 4 Abs. 1 Buchst. A
Beteiligte
Association française des entreprises privées (AFEP) u.a |
Ministre des finances et des comptes publics |
Verfahrensgang
Conseil d Etat (Frankreich) (Beschluss vom 27.06.2016; Abl.EU 2016, Nr. C 335/39) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Gemeinsames Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ‐ Richtlinie 2011/96/EU ‐ Vermeidung der Doppelbesteuerung ‐ Zusatzbeitrag von 3 % zur Körperschaftsteuer“
In der Rechtssache C-365/16
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 27. Juni 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juli 2016, in dem Verfahren
Association française des entreprises privées (AFEP),
Axa SA,
Compagnie générale des établissements MichelinSCA,
Danone SA,
ENGIE SA, vormals GDF Suez,
Eutelsat Communications SA,
LVMH Moët Hennessy-Louis Vuitton SE,
Orange SA,
Sanofi SA,
Suez Environnement Company SA,
Technip SA,
Total SA,
Vivendi SA,
Eurazeo SA,
Safran SA,
Scor SE,
Unibail-Rodamco SE,
Zodiac Aerospace SA
gegen
Ministre des Finances et des Comptes publics
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Regan, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und C. G. Fernlund (Berichterstatter),
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Association française des entreprises privées (AFEP), der Axa SA, der Compagnie générale des établissements Michelin SCA, der Danone SA, der ENGIE SA, der Eutelsat Communications SA, der LVMH Moët Hennessy-Louis Vuitton SA, der Orange SA, der Sanofi SA, der Suez Environnement Company SA, der Technip SA, der Total SA, der Vivendi SA, der Eurazeo SA, der Safran SA, der Scor SE, der Unibail-Rodamco SE und der Zodiac Aerospace SA, vertreten durch G. Blanluet, N. de Boynes und S. Austry, avocats,
‐ der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und S. Ghiandoni als Bevollmächtigte,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und M. Jacobs als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Gossement und W. Roels als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und Art. 5 der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 2011, L 345, S. 8) in der durch die Richtlinie 2014/86/EU des Rates vom 8. Juli 2014 (ABl. 2014, L 219, S. 40) geänderten Fassung (im Folgenden: Mutter-Tochter-Richtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Association française des entreprises privées (AFEP) sowie 17 Gesellschaften (im Folgenden: AFEP u. a.) auf der einen und dem Ministre des Finances et des Comptes publics (Minister für Finanzen und Haushalt, Frankreich) auf der anderen Seite in Bezug auf eine Klage auf Nichtigerklärung einer Verwaltungsdoktrin betreffend den Zusatzbeitrag zur Körperschaftsteuer, der bei einer gebietsansässigen Muttergesellschaft anlässlich der Ausschüttung von Gewinnen, einschließlich der von ihren gebietsfremden Tochtergesellschaften erzielten Gewinne, erhoben wird.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Mutter-Tochter-Richtlinie zielt gemäß ihrem dritten Erwägungsgrund darauf ab, Dividendenzahlungen und andere Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften an ihre Muttergesellschaften von Quellensteuern zu befreien und die Doppelbesteuerung derartiger Einkünfte auf Ebene der Muttergesellschaft zu beseitigen.
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 7 und 9 dieser Richtlinie lauten:
„(7) Bezieht eine Muttergesellschaft als Teilhaberin ihrer Tochtergesellschaft Gewinnausschüttungen, so kann der Mitgliedstaat der Muttergesellschaft diese entweder nicht besteuern oder er lässt im Fall einer Besteuerung zu, da...