Entscheidungsstichwort (Thema)
Antidumpingzölle, Einfuhr von Ammoniumnitrat, Düngemittel, Befreiung von Antidumpingzöllen
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 661/2008 des Rates vom 8. Juli 2008 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren von Ammoniumnitrat mit Ursprung in Russland nach einer Überprüfung wegen bevorstehenden Außerkrafttretens gemäß Artikel 11 Absatz 2 und einer teilweisen Interimsüberprüfung gemäß Artikel 11 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 384/96 ist dahin auszulegen, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft, die Ammoniumnitrat mit Ursprung in Russland über eine andere, ebenfalls in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft zum Zweck der Einfuhr in die Europäische Union gekauft hat, nicht als erster unabhängiger Abnehmer in der Union im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden kann und demzufolge nicht die Befreiung vom endgültigen Antidumpingzoll beanspruchen kann, der durch die Verordnung Nr. 661/2008 für Ammoniumnitrat eingeführt wurde.
2. Die Art. 66 und 220 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie es einer Zollbehörde nicht verwehren, einen Antidumpingzoll nachträglich buchmäßig zu erfassen, wenn, wie in dem Sachverhalt, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, Anträge auf Ungültigerklärung der Zollanmeldungen gestellt wurden, weil der Empfänger in diesen Zollanmeldungen unzutreffend angegeben war und die genannte Behörde die Zollanmeldungen nach Erhalt der fraglichen Anträge angenommen oder nach Erhalt dieser Anträge kontrolliert hat.
3. Art. 66 der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 1791/2006 geänderten Fassung und Art. 251 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 312/2009 der Kommission vom 16. April 2009 geänderten Fassung stehen mit dem in Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz im Einklang, wenn es im Rahmen des Gemeinsamen Zolltarifs, auf den die Art. 28 AEUV und 31 AEUV verweisen, nach den vorstehend genannten Vorschriften der Verordnung Nr. 2913/92 in der durch die Verordnung Nr. 1791/2006 geänderten Fassung und der Verordnung Nr. 2454/93 in der durch die Verordnung Nr. 312/2009 geänderten Fassung nicht möglich ist, eine fehlerhafte Zollanmeldung auf Antrag für ungültig zu erklären und dementsprechend dem Empfänger der Waren, der einen Anspruch auf Befreiung vom Antidumpingzoll gehabt hätte, wenn dieser Fehler nicht unterlaufen wäre, diese Befreiung zu gewähren.
Normenkette
EGV 661/2008 Art. 3 Abs. 1; EWGV 2913/92 Art. 66, 220 Abs. 2
Beteiligte
Maksu- ja Tolliameti Ida maksu- ja tollikeskus |
Verfahrensgang
Tartu Ringkonnakohus (Estland) (Urteil vom 27.12.2012; ABl. EU 2013, Nr. C 63/14) |
Tatbestand
„Vorabentscheidungsersuchen ‐ Antidumping ‐ Verordnung (EG) Nr. 661/2008 ‐ Endgültiger Antidumpingzoll auf die Einfuhren von Ammoniumnitrat mit Ursprung in Russland ‐ Voraussetzungen für die Befreiung ‐ Art. 3 Abs. 1 ‐ Erster unabhängiger Abnehmer in der Union ‐ Kauf von Ammoniumnitratdüngemitteln über einen Zwischenhändler ‐ Überlassung der Waren ‐ Antrag auf Ungültigerklärung der Zollanmeldungen ‐ Beschluss 2008/577/EG ‐ Zollkodex ‐ Art. 66 und 220 ‐ Fehler ‐ Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 ‐ Art. 251 ‐ Nachträgliche Prüfung“
In der Rechtssache C-3/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tartu ringkonnakohus (Estland) mit Entscheidung vom 27. Dezember 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Januar 2013, in dem Verfahren
Baltic Agro AS
gegen
Maksu- ja Tolliameti Ida maksu- ja tollikeskus
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam und N. Grünberg als Bevollmächtigte,
‐ des Rates der Europäischen Union, vertreten durch S. Boelaert und M. Remmelgas als Bevollmächtigte im Beistand von B. Byrne, Solicitor, und Rechtsanwalt G. Berrisch,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Stobiecka-Kuik, E. Randvere und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. April 2014
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung und die Gültigkeit der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (AB...